„Little Brother“ | |
von Cory Doctorow | |
Bewertung
★★★★★
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Verlag | Rowohlt |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | 2008 |
Erhältlich bei | AP-Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Die Hauptfigur des Buches ist ein 17-jähriger Junge namens Marcus. Marcus ist extrem technikaffin und programmiert und hackt leidenschaftlich gern auf seinem selbstgebauten Computer. Zusammen mit seinen Freunden Darryl, Vanessa und Jolu spielt er zu Beginn des Buches gemeinsam ein ARG-Spiel – das heißt, sie bekommen GPS-Koordinaten aus ihrer Heimatstadt San Francisco und müssen dort ein bestimmtes WLAN-Signal finden.
Doch als sie gerade auf der Suche danach sind, wird die Stadt Opfer eines grausamen Terroranschlags, nicht weit entfernt von der Stelle, wo sich die Jugendlichen gerade aufhalten. Die Teenager sehen nur die große Staubwolke und retten sich wie alle anderen Passanten in eine der BART-Stationen (BART ist die U-Bahn in San Francisco). Darryl wird aber in der allgemeinen Panik schwer verletzt und deshalb kämpfen sich die vier wieder zurück an die Oberfläche. Um Hilfe für ihren Freund zu finden, versuchen sie die vorbeifahrenden Autos zum Anhalten zu bringen. Das erste Fahrzeug, welches dann auch stoppt, sorgt sich aber nicht um den verletzten Jungen, sondern die Fahrer stecken den Freunden Säcke über den Kopf und bringen sie in ein Militärfahrzeug.
Marcus und die anderen haben zuerst gar keine Ahnung, was gerade mit ihnen geschieht. Sind das die Terroristen, die zusätzlich noch Geiseln nehmen? Haben die denn überhaupt kein Mitgefühl, so wie sie die Teenager herumgeschleift und angekettet haben? Und was war eigentlich geschehen bei dem Anschlag? Später stellt sich heraus, dass gar nicht irgendeine Terrorvereinigung hinter dieser Entführung steckt. Auch keine Mafia oder andere Kriminelle. Sondern die Behörden der Vereinigten Staaten! Da die Teenager sich zufällig in der Nähe der Bombe an der Oberfläche aufgehalten haben, gelten sie jetzt als verdächtig.
Einer nach dem anderen wird noch im Militärtransporter verhört. Als Marcus an der Reihe ist, weigert er sich, sein Handy-Passwort preiszugeben. Schließlich hat er doch das Recht auf Privatsphäre und auf einen Anwalt, denkt er sich. Leider scheinen diese Rechte aber in Ausnahmefällen auf einmal nicht mehr zu gelten, denn zur Strafe kommt er in ein Gefängnis auf einer Insel mitten in der San Francisco Bay. Später nennen sie es nur noch „Guantánamo in der Bay“. Er wird ständig verhört und die Devise ist ziemlich einfach: „Beantworte unsere Fragen und halte dich an unsere Regeln und vielleicht kommst du frei. Ansonsten quälen und demütigen wir dich solange, bis du aufgibst.“
Marcus muss nicht nur seine Smartphone-PIN, sondern sämtliche Nicknames und Kennwörter, die er besitzt, verraten. Als er im Gefängnishof mit der ebenfalls inhaftierten Vanessa verbotenerweise spricht, werden ihm zur Strafe Handschellen angelegt und er wird, bewegungsunfähig, in seine Zelle gelegt. Da er nicht auf die Toilette darf, macht er sich in die Hose und wird so von den Wärtern gedemütigt. Nach einigen Tagen Haft wird er wegen seiner Unschuld am Anschlag schließlich doch freigelassen, darf aber kein Wort über seinen Aufenthalt reden und muss seinen völlig aufgelösten Eltern Lügen auftischen.
Daheim stellt er fest, dass sein geliebter Laptop, den er sich selbst zusammengebaut hatte, inzwischen verwanzt wurde. Die ganze Stadt hat sich innerhalb weniger Tage in eine komplette Überwachungseinrichtung verwandelt. BART- und Auto-Fahrten werden aufgezeichnet, Leute mit ungewöhnlichen Bewegungsprofilen willkürlich verhört. An Marcus‘ Schule werden Erkennungskameras installiert, die jeden Schüler an seinem Gang erkennen. Außerdem wird seine Lieblingslehrerin, die zuvor noch die Grundrechte der Gründerväter gepriesen hatte, durch eine Mitarbeiterin des Staates ersetzt, die letztendlich Propaganda für das ganze Überwachungssystem macht. Die Bevölkerung steht zunächst größtenteils hinter dem Ganzen, um Terroranschläge in Zukunft zu vermeiden (wie Marcus inzwischen mitbekommen hat, wurden bei der Explosion die Bay-Bridge und Teile der BART zerstört, was in erster Linie den Pendlerverkehr lahmgelegt hat. Auch sein Vater kommt nicht zur Universität, an der er unterrichtet).
Keinen Widerstand zu leisten, kommt für Marcus aber nicht in Frage. Da sein Laptop und natürlich auch der komplette Internetverkehr überwacht werden, holt er seine Xbox Universal aus dem Schrank. Weil Microsoft nur mit den Lizenzgebühren für die Spiele Geld verdient, ist die Universal die erste Xbox, die kostenlos an die Leute verteilt wird und deswegen in jedem Kinderzimmer zu finden ist. Der Teenager installiert eine gecrackte Software, ParanoidXbox, das eine für die Xbox portierte Version von ParanoidLinux ist. ParanoidLinux ist ein Betriebssystem mit größtmöglichem Fokus auf Sicherheit, Verschlüsselung und Privatsphäre. Er überzeugt seine Freunde, ihm dies nachzumachen, und schafft so ein freies, nicht überwachtes Netzwerk namens Xnet. Mit dem Xnet werden im Untergrund Protestbewegungen organisiert. Ihr Ziel: der Umsturz des Überwachungssystems. Ob das gelingt?
Fazit
Als Technik-Freak hat mich das Buch natürlich sofort angesprochen. Viele komplizierte Mechanismen werden aber immer auch noch ziemlich verständlich erklärt, also können auch interessierte Laien mit dem Roman ihre Freude haben. Es wird aufgezeigt, dass man der Totalüberwachung keine Chance geben darf und sich gegen Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung wehren muss. Insgesamt ein sehr spannendes Buch für Technik-Interessierte, insbesondere natürlich für Jugendliche und junge Erwachsene.
Kleine Anmerkung zum Vertrieb des Buches: Cory Doctorow hat die englische Originalausgabe als eBook kostenlos unter einer freien Lizenz veröffentlicht. Es gibt auf Basis dessen auch eine kostenfreie Hobby-Übersetzung in verschiedenen Formaten.