„Hoffnung auf das große Glück“ | |
von Doris Strobl | |
Bewertung
★★★★☆
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Verlag | Rosenheimer Verlagshaus |
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Buchform | gebunden, eBook |
Erschienen | September 2017 |
Seiten | 302 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten, Rosenheimer Verlagshaus |
In diesem Buch hält die Autorin Doris Strobl im Prinzip die Kindheitserinnerungen ihrer Großmutter fest, auch wenn sie, wie sie im Vorwort schreibt, einige Namen und Ortsangaben verändert hat.
Das Buch beginnt im Jahr 1914 in Ingolstadt: Eine der frühesten Erinnerungen von Fanny ist das Familienfoto, für das sich die ganze Familie ihre feinsten Kleider anzog. Trauriger Anlass für das Foto ist der bevorstehende Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Für viele Männer an der Front wird das Foto ihrer Lieben bald alles sein, was ihnen noch Hoffnung gibt. Doch der Abschied am Bahnhof fällt noch euphorisch aus, alle hoffen: „An Weihnachten wieder zu Hause.“
Zwei Jahre später verunglückt Fannys Mutter auf tragische Weise, zudem erfährt sie, dass ihr Vater gar nicht ihr richtiger Vater ist. Sie lebt nun bei ihren Großeltern, ihr kleiner Bruder Josef hingegen wird zu einer weit entfernt lebenden Tante geschickt. Fortan fühlt sich Fanny immer ein wenig verloren, ihr fehlt die Liebe und Geborgenheit, die ihr nur ihre Mutter geben konnte. Ohrfeigen und Schläge für das aufgeweckte Kind sind an der Tagesordnung. Auch in der Schule ist allzu wissbegieriges Nachfragen nicht erwünscht, vor allem nicht von den Mädchen. Immerhin findet sie in ihrer Cousine Emma eine gute Freundin.
Der Krieg fordert viele Opfer, an der Front ebenso wie zuhause. Sehr eindrücklich beschreibt Fanny, wie sie und ihre Familie Hunger leiden müssen und tagelang nur von Wasser leben: „Das macht den Bauch voll.“ Mit ihrer Großmutter geht sie im Wald Pilze sammeln, klaubt Kartoffeln auf und bewirtschaftet den heimischen Garten mit Obstbäumen und -sträuchern, um wenigstens ab und zu etwas zu essen zu haben.
Auch als der Krieg endlich vorbei ist, wird die Situation nicht besser, ganz im Gegenteil. Zwar bleibt Ingolstadt von den gewalttätigen Auseinandersetzungen verschont, wie sie beispielsweise in München rund um die Räterepublik und deren Niederschlagung an der Tagesordnung sind. Doch unter der Armut haben auch die Ingolstädter zu leiden. Die Inflation steigt und steigt, das Geld ist nichts mehr wert und wer nichts zum Tauschen anbieten kann, bekommt keine Lebensmittel mehr.
Mit 13 wird Fanny als Kindermädchen und Haushaltshilfe auf einen Bauernhof geschickt. Leider findet der Bauer allzu großen Gefallen an ihr. Mehr Glück hat sie bei ihrer nächsten Stelle bei einer Professorenwitwe. Doch die Nazis sind auf dem Vormarsch und bald bricht der nächste Krieg aus, der noch weit mehr Opfer fordert. Wieder einmal muss Fanny ihre eigenen Bedürfnisse hintan stellen und all ihre Kraft aufwenden, um ihre Lieben so gut wie möglich zu beschützen.
Ich gebe zu, dass ich das Buch äußerst skeptisch begonnen habe. Für eine Geschichte, die von so viel Not und Elend handelt und noch dazu auf wahren Begebenheiten beruht, muss man definitiv in der passenden Stimmung sein. Doch die Protagonistin Fanny war mir auf Anhieb sympathisch und der Roman ist so leicht und flüssig geschrieben, dass die Seiten beim Lesen nur so dahinschmolzen. So manches Mal legte ich das Buch mit dem Gefühl einer tiefen Demut beiseite, vor allem, wenn wieder einmal der allgegenwärtige Hunger geschildert wurde. Besonders rührend fand ich, als Fanny zum ersten Mal in ihrem Leben eine Semmel mit Butter und Marmelade essen durfte und hinterher meinte, sie habe in ihrem ganzen Leben nie wieder eine so köstliche Semmel gegessen wie diese. Da sieht man den eigenen, reich gedeckten Tisch plötzlich mit ganz anderen Augen und mit einer tiefen Dankbarkeit.
Letztlich habe ich die Geschichte in etwas mehr als zwei Tagen zu Ende gelesen, wobei das Ende mich dann allerdings ziemlich ratlos zurückließ. Der Roman endet nämlich im Jahr 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, da ist Fanny gerade einmal Mitte Dreißig. Zu gern hätte ich nun noch weiter gelesen und mehr darüber erfahren, wie es ihr und ihren Angehörigen nach dem Krieg weiter ergangen ist. Das Nachwort gab dazu zwar noch ein paar kurze Erklärungen, die kamen mir aber irgendwie recht rasch abgehandelt vor, als solle das Buch nun schnell, schnell beendet werden. Das fand ich etwas unbefriedigend.
Vor allem, was die Zeit des Ersten Weltkriegs betrifft, ist die Erzählung meiner Meinung nach aber ein wichtiges Zeitdokument. Wenn ich richtig gerechnet habe, ist Fanny im Jahr 1909 geboren, genau wie meine eigene Oma, die einzige meiner Großeltern, die ich überhaupt noch kennengelernt habe. Meine Oma hat nie viel aus ihrer Kindheit erzählt, nur eine Bemerkung hat sich mir tief eingeprägt, nämlich, dass kein einziger ihrer männlichen Schulkameraden den Krieg (rein rechnerisch muss sie da wohl den Zweiten Weltkrieg gemeint haben) überlebt hat. Das hat mich als Grundschulkind, die ihre männlichen Mitschüler zu diesem Zeitpunkt ausnahmslos doof fand, sehr nachdenklich gemacht. Leider hatte ich später kaum noch Gelegenheit (und damals wohl auch nicht das Interesse), meine Oma weiter über ihre Kindheit zu befragen. Ich vermute aber, dass es durchaus Parallelen zwischen ihrer und Fannys Geschichte gab, so wie sich bestimmt auch viele andere Frauen dieser Zeit in Fanny wiederfinden würden.
Alles in allem eine sehr berührende Geschichte, die zum Nachdenken anregt, aber mit einem für mich unbefriedigenden Ende.