„Wir nannten es Freiheit“ | |
von Silke Schütze | |
Bewertung
★★★★☆
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Verlag | Droemer Knaur |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | März 2019 |
Seiten | 397 als Taschenbuch |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Schon mal was vom Lehrerinnen-Zölibat gehört? Den gab es in Deutschland wirklich und dieses Buch erzählt davon:
Berlin 1916: Lene ist eine liebenswerte Berliner Göre, resolut und herzlich. Als einziges Mädchen aus der Arbeiterklasse hat sie das Lehrerinnen-Examen bestanden und ist nun glücklich, als „Fräulein“ in Schöneberg unterrichten zu dürfen. Mitten im dritten Kriegsjahr herrscht an den Schulen akuter Mangel an männlichen Lehrern, Frauen rücken an deren Stelle. Doch sie erhalten nur Aushilfsverträge zu niedrigerem Lohn und sobald der Lehrer aus dem Krieg zurückkehrt, müssen sie ihren Arbeitsplatz wieder räumen. Dazu kommt, dass sie aus dem Lehrerinnen-Dienst ausscheiden müssen, sobald sie heiraten. Liebe oder Arbeit – in Kriegszeiten, in denen die Menschen hungern und um ihre Existenz bangen müssen, ist dies keine leichte Entscheidung.
Lene ist verlobt mit Paul, doch als der verletzt aus dem Krieg zurückkehrt, ist er nicht nur körperlich versehrt, sondern vor allem seelisch schwer traumatisiert. Er und Lene stehen sich plötzlich wie Fremde gegenüber und als Lenes geliebte Mutter stirbt und sie Trost so dringend bräuchte, da kann Paul ihr nicht helfen. Es sieht so aus, als würde nichts aus der ersehnten Hochzeit und als müsste Lene sich somit gar nicht zwischen Ehe und Beruf entscheiden.
Doch Lene ist eine Kämpferin. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen schmiedet sie Pläne: Die Frauen schreiben einen Protestbrief an den Magistrat und bitten darum, ihr Anliegen in einer Sitzung zu behandeln. Lene bringt den Brief persönlich ins Schöneberger Rathaus, doch dort herrscht gerade Sommerpause. Wird ihr Anliegen wirklich behandelt werden oder schlummert der Brief auf ewig in irgendeinem Ablagestapel?
Daneben kämpft Lene wie so viele andere in dieser Zeit ums nackte Überleben, ihr Gehalt reicht nicht für Miete und Essen, also handelt sie auf dem Schwarzmarkt und begibt sich dabei so manches Mal in große Gefahr. Immer mehr Männer kehren schwer verletzt und traumatisiert aus dem Krieg zurück, unfähig, ihren alten Beruf wieder auszuüben. Ohne die Tatkraft der Frauen ginge gar nichts mehr – doch wird das auch von der Regierung endlich anerkannt?
Silke Schütze ist es gelungen, in diesem Roman die Atmosphäre in Berlin-Schöneberg während des Ersten Weltkriegs sehr eindrucksvoll zu beschreiben. Fast spürt man beim Lesen selber den Hunger und das Elend. Das war stellenweise sehr, sehr bedrückend. Ausgeglichen wird dieses deprimierende Setting durch Figuren, die größtenteils richtig liebenswert sind: neben Lene der sensible Paul, die aufopferungsvolle Mutter, die verschiedenen Lehrerinnen an Lenes Schule. So fällt es leicht, mit Lene und ihren Kolleginnen mitzufiebern.
Im Nachwort verrät die Autorin, dass es den Lehrerinnen-Zölibat in manchen Bundesländern noch bis in die 1950er Jahre hinein gab. Das machte mir wieder einmal bewusst, wie glücklich wir Frauen uns heute, rund 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, doch schätzen können. Was wurde in dieser Zeit, vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, nicht alles erreicht und gilt heute sogar als absolut selbstverständlich. Es schadet nichts, sich das manchmal wieder bewusst zu machen.