Woche der Münchner Verlage: So war’s

Erstellt am 13.5.19. Kategorie: Dies & Das

Wie kürzlich schon berichtet, fand vom 5. bis 10. Mai die „Woche der Münchner Verlage“ statt. Interessant klangen die Veranstaltungen ja alle, wenigstens zwei davon konnte ich selbst besuchen. Hier kommt mein Bericht:

„Ich lass das jetzt so.“ Euphorie und Wahnsinn im Lektorat

Die Auftaktveranstaltung führte mich nach München-Bogenhausen ins Schwimmbad… zumindest war der Veranstaltungsraum früher mal ein Schwimmbad, wie Verleger Jo Lendle (auf dem Foto ganz links) erzählte. Denn wir befanden uns in der früheren Privatvilla des Verlegers Carl Hanser, die nach seinem Tod umgebaut wurde und nun einen Teil der Büroräume des Hanser-Verlages beherbergt. Über 80 Besucher drängten sich dort, wobei auffällig war, dass das Publikum sehr gemischt war: alt, jung, alles dazwischen, Männlein und Weiblein etwa zu gleichen Teilen vertreten.
Moderiert wurde der Abend von Knut Cordsen vom Bayerischen Rundfunk (4. von links), es diskutierten (von links): Marion Kohler, Programmleiterin Literatur beim Penguin Verlag; Martin Hielscher, Programmleiter Literatur bei C.H. Beck; Günther Opitz, Lektor für deutschsprachige Literatur bei dtv; Piero Salabé, Lektor für internationale Literatur beim Hanser-Verlag und Andrea Müller, Programmleiterin Unterhaltung bei Piper.

Sind Lektoren verhinderte Schriftsteller?

Cordsen zitierte zunächst Stephen King, der mal über seinen Lektor gesagt haben soll: „Schreiben ist menschlich, Lektorieren ist göttlich.“ Doch sind Lektoren allesamt verhinderte Schriftsteller? „Ich kenne keinen“, erwiderte Müller und versicherte, dass es ihr viel mehr Spaß mache, einem Buch auf die Welt zu helfen. Opitz berichtete, dass er einmal gefragt worden sei: „Schreiben Sie? Nein? Gut, dann haben Sie das Zeug, ein guter Lektor zu sein.“
Wie sieht denn der Arbeitstag eines Lektors aus, sitzt der den ganzen Tag da und liest? Nein! Kohler zufolge lesen die Lektoren zumeist abends und am Wochenende, also in ihrer Freizeit. In der Arbeitszeit wird am Text gefeilt, mit den Kollegen vom Marketing verhandelt und vieles andere mehr. Viele der Lektoren bieten quasi eine Rundum-Betreuung für ihre Autoren an: Manche begleiten sie sogar zu Konzerten oder schließen für sie das gewünschte Sky-Abo ab 😉 Wie Hielscher es ausdrückte: „In guten wie in schlechten Zeiten.“

„Wenn jemand gut schreibt, wird er auch entdeckt“

Wie kommen Lektoren eigentlich an ihre Manuskripte? Das sei kein Problem, versicherte Müller, der Berg wachse jeden Tag. Hielscher ergänzte, dass ein unverlangt eingesandtes Manuskript die am wenigsten erfolgversprechende Methode sei. Viel mehr Aufmerksamkeit errege ein Manuskript, wenn es von einer Agentur komme, mit der der Verlag bereits vertrauensvoll zusammenarbeitet. Auch Literaturwettbewerbe oder -zeitschriften sowie Empfehlungen anderer Autoren seien ein Weg. Übrigens schreibt der Verlag C.H. Beck noch Absagen, im Gegensatz zu anderen Verlagen, die unverlangt eingesandte Manuskripte im Müll entsorgen. Die Kunst dabei sei, eine Absage so klingen zu lassen, als sei sie eigentlich eine Zusage, denn man wolle sich ja weiterhin mit dem Autor gut stellen.
Opitz zufolge erreichen den Verlag rund 2000 unverlangt eingesandte Manuskripte pro Jahr. Tröstlich: „Wenn jemand wirklich gut schreibt, dann ist es fast unmöglich, dass er nicht entdeckt wird.“ Dafür seien auch die Autoren untereinander heutzutage gut genug vernetzt.

Haben die Lektoren denn schon mal bedauert, ein Manuskript abgelehnt zu haben? „Kein Lektor ist ganz frei davon, wenn er länger dabei ist“, meinte Müller und Salabé konnte dazu gleich einige Beispiele nennen. Müller ergänzte noch: „Sicher ist man sich nie, man muss sich da auf sein Bauchgefühl verlassen. Wir Lektoren sind von Berufs wegen begeisterungsfähig.“ In diesem Zusammenhang erzählte Kohler von den Bietergefechten, die sich verschiedene Verlage liefern, wenn sie alle ein und dasselbe Buch verlegen wollen. Dann wird die Agentur, die das Manuskript anbietet, schon mal mit „Liebesbriefen“ überschüttet, in denen der jeweilige Verlag seine Vorzüge anpreist. Umgekehrt weiß Salabé, dass ein Lektor auch mal im eigenen Verlag für „sein“ Buch kämpfen muss, denn es kann durchaus Gegenwind geben, z.B. von Vertriebsseite.

Das Klavier als Gradmesser für den Erfolg

Dann drehte sich das Gespräch um die Vertreterkonferenzen: Hier stellen die Verlage ihren Handelsvertretern ihr jeweiliges Programm vor, damit die Vertreter dieses dann dem Buchhandel präsentieren können. Dabei haben Buchhandelsketten oft andere Präferenzen als unabhängige, inhabergeführte Buchläden. In München gibt es laut Opitz noch eine weitere Besonderheit: „Wer bei Lehmkuhl auf dem Klavier liegt, der hat’s geschafft.“

Brauchen Lektoren eigentlich eine Elefantenhaut? Kohler betonte, dass ein Lektor vieles abfangen müsse, schließlich sei der Text sozusagen das Baby des Autors. Hielscher ergänzte, dass die Interessen von Autor und Verlag naturgemäß nicht immer identisch seien, der Konflikt werde beim Lektor ausgetragen: „Man muss viel moderieren.“

Woran erkennt ein Lektor eigentlich einen guten Text? „Manchmal reicht schon das Anschreiben“, bekannte Müller augenzwinkernd. In der Regel brauche sie aber zwischen fünf und 30 Seiten, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Den titelgebenden Satz „Ich lass das jetzt so“ sagen ihr zufolge übrigens die Lektoren häufiger als die Autoren. Schließlich müsse man ja auch die Deadlines im Blick behalten.

 

Cover, Poster, Social Media – Wie LeserInnen die Buchwerbung beeinflussen

Zwei Tage später ging es für mich dann zur Verlagsgruppe Random House. Diese Räumlichkeiten kenne ich ja schon von der Lit.Love, die dort seit 2016 jedes Jahr im November stattfindet. Es war ein richtig schönes Gefühl, wieder da zu sein und sofort stieg die Vorfreude auf die Lit.Love 2019 nochmal sprunghaft an.

Diese Veranstaltung rund ums Thema Marketing wurde von Cornelia Zetzsche (Bildmitte) vom Bayerischen Rundfunk moderiert, sie diskutierte mit (von links) Mechthild Heinen, Buchhandlung Lehmkuhl; Astrid Böhmisch, Marketingleiterin bei Piper; Sonja Assfalg, Werbeleiterin der Verlage cbj und cbt, und Verlegerin Julia Eisele. Nicht nur das Podium war durchgängig weiblich, auch im Publikum waren diesmal die Frauen ganz eindeutig in der Überzahl.

Krise? Welche Krise?

Die Moderatorin redete zunächst viel von der Krise im Buchhandel: Die Verkaufszahlen im ersten Quartal 2019 sind rückläufig, die Zahl der Veröffentlichungen ebenfalls. Wie reagieren Verlage und Buchhandel darauf? „Mit noch größerer Energie“, erwiderte Böhmisch. Es sei nicht die Zeit, um zu resignieren, sondern um noch ambitionierter neue Lesegruppen zu erschließen. Und überhaupt: „Diese Krise gibt es schon ganz lange, um nicht zu sagen immer.“ Man dürfte daraus keine sich selbst erfüllende Prophezeiung machen.
Julia Eisele hat, allem Krisengerede zum Trotz, ihren eigenen kleinen Verlag gegründet und blickt durchaus positiv in die Zukunft: „Wir haben gerade in Deutschland noch immer einen funktionierenden Buchhandel mit vielen unabhängigen Buchhandlungen.“ Eine davon ist die Buchhandlung Lehmkuhl in München-Schwabing. Dort spürt man Heinen zufolge zwar schon einen Rückgang, „aber wir haben eine gute Lage, viele Stammkunden und viel Laufkundschaft.“ Zudem habe ihr Team viel Erziehungsarbeit geleistet, damit die Kunden nicht bei Amazon bestellen, sondern dem lokalen Buchhandel den Vorzug geben.
Sonja Assfalg hat bei ihrem Kinderbuchverlag das „Problem“, dass ihre Leserschaft naturgemäß irgendwann aus der Zielgruppe herauswächst, dafür kommt aber stetig eine neue Leserschaft nach. Ihr Credo: „Man muss die Eltern und die Kinder begeistern.“

Zielgruppenforschung und chefkoch.de

An diesem Punkt befürchtete ich schon, der Abend könne sich nur um die Krise drehen, zu der die Moderatorin immer wieder hartnäckig nachfragte. Doch zum Glück hatte Astrid Böhmisch auch zum Thema Marketing einiges zu sagen. Sie verriet, dass der Piper-Verlag Schwerpunktthemen festlegt und dementsprechende Zielvorgaben definiert. Wenn diese Ziele klar definiert sind, überlegt man, welche Zielgruppe dafür in Frage kommt und wie man diese am besten erreicht. Danach werden dann die Marketingmaßnahmen ausgerichtet. Ein Beispiel: Für einen neuen Krimi werden natürlich Anzeigen in Krimimagazinen geschaltet. Aber eben nicht nur! Es werden demografische Merkmale berücksichtigt, zum Beispiel, wenn ein Buch eher eine weibliche Leserschaft ansprechen soll. Anzeigen erscheinen dann auch auf Online-Kanälen, die mit Literatur erstmal nichts zu tun haben, zum Beispiel auf Promi- und Klatschportalen oder auf chefkoch.de – Klischees lassen grüßen!

Anzeigen auf chefkoch.de, da kann Eisele hingegen nur den Kopf schütteln, dafür ist ihr Marketingbudget viel zu gering. Ihr Konzept ist ein anderes: „Wir haben ein kleines feines Programm mit nur acht Neuerscheinungen pro Jahr, die alle nur eines gemeinsam haben: Sie haben mich persönlich begeistert.“ So breit gefächert wie ihr eigener Geschmack ist demzufolge auch das Sortiment des Verlags. „Wir sind weniger auf Zielgruppen ausgerichtet, sondern versuchen, unsere eigene Begeisterung zu transportieren“, beschrieb sie ihren Weg. Und Heinen gab ihr Recht: „Das Eisele-Programm wird bei uns gut angenommen.“

Promi = Bestseller?

Wohl dem, der einen Autor im Programm hat, der schon über einen bekannten Namen verfügt. Der Piper-Verlag hat zum Beispiel den Schauspieler Axel Milberg unter Vertrag: „Wenn der bei Lanz im TV war, spürt man das unmittelbar bei den Absatzzahlen“, so Böhmisch.
Andere Erfahrungen hat Assfalg mit Entertainer Ross Antony gemacht: Dessen Kinderbuch verkaufte sich zwar gut, blieb aber hinter den hohen Erwartungen zurück. „Die Fans wollten nicht das Buch lesen, sie wollten einfach nur Ross Antony sehen“, erklärte Assfalg und betonte, dass die Lesungen mit Antony dennoch richtig gut gewesen seien.

Im Kinderbuchbereich gäbe es sog. steady seller, die in jeder Generation erfolgreich seien und oft auch auf Empfehlung gekauft würden, beispielsweise die Geschichte „Die Musketiere.“ Anders war das mit einem Buch, das sich um kleine Monster drehte: „Wir waren überzeugt davon, haben eine große Kampagne gefahren. Aber die Buchhändler gaben uns die Rückmeldung: Eltern wollen keine Monsterbücher für ihre Kinder.“

Schaufenster und Cover

Wie wichtig sind Schaufenster und Cover für den Erfolg eines Buches? „Sehr wichtig“, antwortete Heinen. Bei Lehmkuhl werden die Schaufenster, Visitenkarten des Geschäfts, etwa alle sechs Wochen professionell neu gestaltet. Für Eisele ist das Cover von immenser Bedeutung: „Wir geben viel Geld aus für gutes Papier, lesefreundliche Schrift, ein Lesebändchen. Es gehört zu unserem Profil, dass wir viel Wert auf Optik und Ausstattung legen.“ Da gehört das Cover natürlich dazu.
Bei cbj und cbt gibt es verschiedene Kanäle, um zu testen, wie ein Cover bei der Leserschaft ankommt, darunter auch einen Kinder-Leseclub: „Die Kinder bekommen nur den Text, kein Cover.“ Da habe es auch einmal große Proteste von den Kindern gegeben, als sie erfuhren, dass das Einhorn auf dem Cover weiß sei, in der Geschichte selbst aber braun. Im Verlag hatte man gedacht, ein braunes Einhorn sei nicht so gut verkäuflich, aber letztlich setzten die Kinder sich mit ihrem Einwand durch.
Eine weitere Möglichkeit, die viele Autoren auf ihren Social Media-Kanälen nutzen: Sie lassen ihre Follower zwischen zwei Cover-Entwürfen abstimmen, welcher ihnen besser gefällt.

Digital oder analog?

Apropos Social Media: Wie werden traditionelle Kommunikationswege im Vergleich zu Social Media gewichtet? „Man muss dahin gehen, wo die Zielgruppe ist“, erwiderte Böhmisch und Assfalg ergänzte: „Die Jugend ist nunmal bei Instagram und YouTube, also muss ich auch dorthin, wenn ich ein Jugendbuch bewerben will.“ Böhmisch betonte, dass man traditionelle und neue Medien nicht in Opposition sehen dürfe: „Wir alle bewegen uns doch im digitalen Raum.“ Man müsse eben das Passende für jedes Buch finden. Und es gebe viele Blogger, die mit großer Liebe, viel Engagement und hoher Reichweite ihre Buchfavoriten bewerben.
„Geht also der Trend hin zu Amateurkritikern?“, fragte Zetzsche und erntete dafür unwilliges Gemurmel aus dem Publikum, in dem wohl etliche Blogger saßen. Böhmisch betonte: „Leser als Kritiker in den Communities sind für uns gute Sparringspartner und ernst zu nehmende Größen.“
Zu Lehmkuhl hingegen kommen die Kunden eher, nachdem sie in der Zeitung oder im Radio auf ein Buch aufmerksam wurden. „Ich habe meine Zweifel, ob die digitalen Kanäle das allein Seligmachende sind“, so Heinen. Die persönliche Beratung sei doch sehr wichtig.

Die Bedeutung des Buchhandels unterstrich auch Eisele: „Die Verlage verkaufen nicht dem Leser, sondern dem Buchhändler“, betonte sie. Schließlich muss der erstmal das Buch bestellen und in seinem Geschäft präsentieren. Deshalb pflegt sie einen engen Kontakt und einen „inspirierenden Austausch.“ Außerdem: „Die beste Werbung für ein gutes Buch ist ein gutes Buch.“

Manche Verlage sind dazu übergegangen, ihre Programmvorschauen nur noch digital zu präsentieren. Darüber wurde kontrovers diskutiert, ebenso wie über das Beiwerk, das viele Verlage den Buchhändlern anbieten, ob Aufsteller, Lesezeichen, T-Shirts oder andere Deko. „Da geht es ums Gefühl“, betonte Eisele, die demnächst Regenschirme mit Verlagslogo an Buchhändler ausliefert. „Die Bindung zum Händler ist wichtig, das ist unser erster und wichtigster Kunde“, beteuerte auch Assfalg und Böhmisch berichtete vom „Piper Reader“, einem Magazin, das Händler exklusiv mit Hintergrundinfos und Interviews zu den Neuerscheinungen versorge. Ob das aber immer so gewürdigt wird? „Das brauchen wir nicht, wollen wir nicht, dafür haben wir keinen Platz“, so Heinen. „Oft ist dieses Dekomaterial ja auch von minderer Qualität, ergo findet dieser Schnickschnack drumherum bei uns nicht statt. Wir sind ja kein Gemischtwarenladen.“

Bei allen Unterschieden in ihrer Herangehensweise hatten die Diskussionsteilnehmerinnen doch eines auf jeden Fall gemeinsam: ihre Begeisterung für ihre jeweilige Arbeit. Das war bei allen deutlich spürbar.

Fazit

Beide Abende waren für mich nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern auch lehrreich, ich habe Neues gelernt, interessante Geschichten und Anekdoten gehört und alles in allem einen guten Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche im Verlagswesen und im Buchhandel bekommen. Eine wunderbare Veranstaltungsreihe, von der ich nur hoffen kann, dass sie auch im kommenden Jahr wieder stattfindet.