„Am Ende ein Blick aufs Meer“ | |
von Philipp Lyonel Russell | |
Bewertung
★★★★☆
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Verlag | Insel Verlag |
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Buchform | gebunden, eBook |
Erschienen | März 2019 |
Seiten | 221 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Auf dieses Buch wurde ich bei der letzten Veranstaltung mit Ulrike Wolz aufmerksam. Sie stellte den Roman im Buchladen Vaterstetten vor, las einen kurzen Textauszug und für mich war klar: Das muss ich lesen! Nun habe ich die Lektüre beendet und kann mich der Empfehlung nur anschließen.
Hauptperson des Romans ist Frederick Bingo Mandeville, kurz Bingo, der 1880 in England zur Welt kommt. Seine Eltern weilen während seiner ersten Lebensjahre zumeist beruflich in Hongkong, deshalb wächst Bingo bei seinen Tanten und Ammen auf und wird dort nach Strich und Faden verwöhnt. Von Anfang an ist sein sonniges Gemüt auffällig, weshalb ihn seine Ammen „Sonnenstrahl Gottes“ nennen. Als er heranwächst, setzt sich allerdings ein anderer Spitzname durch: „Spaßvogel“, denn Bingo ist stets lustig, sieht in allem das Positive, hat immer einen Scherz auf den Lippen und vermag es, die Menschen in seiner Umgebung zum Lachen zu bringen.
So ist es fast unausweichlich, dass Bingo Karriere im Showbusiness macht: Er wird ein gefragter Comedian, zunächst auf den Bühnen im Londoner West End, dann wagt er den Sprung über den großen Teich und erobert New York. Er wird erfolgreich als Drehbuchautor und schließlich auch als Schriftsteller. Seine Spezialität sind leichte, fröhliche Unterhaltungsromane, in denen er gerne die britische Upper Class aufs Korn nimmt, jedoch immer sehr liebevoll, nie verletzend. In Zeiten des Großen Krieges und der Weltwirtschaftskrise erfreuen sich seine Romane großer Beliebtheit, Bingo wird zu einem der reichsten Männer Englands und zu einem gefeierten Star.
Doch dann naht der Zweite Weltkrieg. Bingo lebt mittlerweile mit seiner Frau Florence in der Normandie und als die Deutschen in Frankreich einmarschieren, wird er dort als feindlicher Ausländer verhaftet. Zusammen mit anderen zivilen Gefangenen, darunter viele gut betuchte Engländer, kommt er in ein Gefangenenlager in Spittal in Österreich. Und selbst dort gelingt es ihm, seine Mitgefangenen aufzumuntern. Der Oberstleutnant, der im Lager die Befehlsgewalt hat, erkennt schnell, dass er es mit seinen Gefangenen sehr viel leichter hat, wenn er sie bei Laune hält und es zu keiner Meuterei kommt. So ermöglicht er es Bingo, jeden Tag weiter an seinem aktuellen Roman zu schreiben und während des Afternoon Teas vor seinen Mithäftlingen aufzutreten. Bei diesen Auftritten teilt Bingo durchaus gegen die Besatzer aus, aber auch dies so subtil, dass er keine Konsequenzen befürchten muss. Vielmehr macht er amüsante Scherze über das Lagerleben, lamentiert launig über das schlechte Essen, verstößt aber niemals gegen die Regeln des Lagers.
Zur Strategie des Oberstleutnants gehört es auch, die Häftlinge im Unklaren über den tatsächlichen Kriegsverlauf zu lassen. Sie alle sind auf dem Wissensstand zur Zeit ihrer Internierung im Mai 1940, zu einer Zeit also, als man in England und Frankreich noch glaubte, dieser Krieg sei ein „Phoney War“ oder „Drole de guerre“, bei dem vor allem Wortgefechte geführt würden. Sie wissen nichts von den Hunderttausenden Toten, die der Krieg inzwischen gefordert hat. So bleibt es im Lager auffallend ruhig, worauf auch das Auswärtige Amt aufmerksam wird, das daraufhin beschließt, das Lager in Spittal als Repräsentations- und Vorzeigeobjekt einzustufen, mit dem die Einhaltung der Genfer Konvention nachgewiesen werden kann, frei nach dem Motto „alles halb so wild.“
Als Bingo gebeten wird, in einem Beitrag des deutschen Rundfunksenders „Germany Calling“ aufzutreten und dort seinen Fans in England und Amerika mitzuteilen, dass es ihm gutgehe, willigt er arglos ein – nichtsahnend, dass seine Worte vor allem in England gründlich missverstanden werden. Hier wirft man ihm vor, er habe sich vor den Karren der Nazis spannen lassen und sei ein Landesverräter der übelsten Sorte. Entsprechend schockiert ist Bingo, als er bei Kriegsende endlich aus dem Lager entlassen wird und nach Hause zurückkehren will…
Die Geschichte liest sich unglaublich flott, sie ist in einem ganz leichtgängigen Stil geschrieben, mit nur wenig wörtlicher Rede, aber dennoch äußerst lebendig. Man spürt förmlich das Amüsierte, Augenzwinkernde zwischen den Zeilen. Bingo und die übrigen Figuren des Romans werden eher durch Beschreibungen als durch Taten charakterisiert, dadurch bleiben sie meiner Meinung nach zwar ein wenig einschichtig, aber das schadet der Geschichte nicht. Alles in allem fühlte ich mich – trotz des durchaus ernsten Themas vor allem im letzten Drittel des Romans – stets bestens unterhalten.