„Der Geschmack unseres Lebens“ | |
von Julia Fischer | |
Bewertung
★★★★★
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Verlag | Droemer Knaur |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | September 2019 |
Seiten | 400 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Ella ist gerade 32 Jahre alt geworden, als sie ihre Chocolaterie im italienischen Alba, einer kleinen Stadt im Piemont, eröffnet. Bis dahin war es ein harter Weg, denn Ella hat schon im Alter von fünf Jahren ihre Mutter verloren und blieb daraufhin mit ihrem Vater und ihrem Bruder Danilo auf dem verschuldeten Landsitz zurück, auf dem seit Generationen Haselnüsse angebaut, geerntet und verarbeitet werden. Danilo gibt dem Vater die Schuld am Tod der Mutter, es kommt zu einem heftigen Streit und Danilo verschwindet jahrelang aus Ellas Leben. Ella selbst will eigentlich heiraten, doch dann erkrankt ihr Vater schwer und sie entschließt sich trotz Schwangerschaft, bei ihm zu bleiben, statt ihrem Verlobten in die USA zu folgen. Als ihr Vater stirbt, bleibt Ella nichts anderes übrig, als das Landgut zu verkaufen, um sich und ihre Zwillinge ernähren zu können. Der Verkaufserlös reicht gerade, um die Chocolaterie zu eröffnen.
Kein Wunder also, dass Ella abweisend reagiert, als Michele eines Tages im Laden auftaucht, um ihr eine Zusammenarbeit anzubieten – denn Michele ist der Käufer des Landgutes, das Ella noch immer schmerzlich vermisst. Und nicht nur sie: Auch ihre Kinder stehlen sich bei jeder Gelegenheit heimlich davon, um ihr altes Zuhause zu besuchen. Dabei freunden sie sich mit Micheles Mutter Sophia an.
Und dann taucht plötzlich Danilo wieder auf: Er war beim Militär und ist schwer traumatisiert aus Afghanistan zurückgekehrt. Ruhe fand er in einem abgelegenen Bergdorf des Piemont und Arbeit schließlich ausgerechnet bei Michele. Im Gegensatz zu Ella hat Danilo kein Problem damit, als Angestellter auf den alten Besitz zurückzukehren. Ella sieht sich immer mehr mit der Vergangenheit konfrontiert, mit alten Verletzungen durch den Tod ihrer Mutter, durch Ungesagtes, Unterlassenes, das nun an die Oberfläche drängt. Dazu kommen alte Briefe, die Sophia findet und die an Mariella, eine Ahnin Ellas während der Zeit der napoleonischen Besatzung im 19. Jahrhundert geschrieben wurden.
Ausgerechnet bei Michele stößt Ella auf Verständnis und Hilfe und langsam erwachen Gefühle in beiden, die sie nicht zulassen wollen, schließlich ist Michele verheiratet. Und dann erhält Ella plötzlich ein verlockendes Angebot aus Turin: Sie soll ihren Laden und ihr begehrtes Rezept der „Torta di nocciole“ an Alberto Barone verkaufen und selbst Geschäftsführerin seines Unternehmens werden, zu dem mehrere Chocolaterien in Oberitalien gehören. Damit wären Ellas finanzielle Probleme auf einen Schlag gelöst und vielleicht wäre so ein Neuanfang an einem anderen Ort auch genau das Richtige für sie. Doch ist ein Umzug nach Turin auch der richtige Weg für ihre Kinder? Und kann man vor seiner eigenen Vergangenheit weglaufen oder muss man sich ihr trotzdem irgendwann stellen?
Auf ruhige, fast schon poetische Weise schildert die Autorin Ellas langen und schmerzhaften Weg zu sich selbst. Besonders einfühlsam wird dabei die Krankheit von Ellas Mutter geschildert, eine Art bipolarer Störung, die letztlich zu ihrem Tod führte. Neben der oben erwähnten napoleonischen Besatzungszeit spielt auch eine andere Epoche der Vergangenheit eine wichtige Rolle, nämlich die Zeit der „resitenza“, des Widerstands im Zweiten Weltkrieg, als viele Partisanen in den Bergen Oberitaliens kämpften. Diese Aspekte sind auf sehr einfühlsame und eindrückliche Art in die Geschichte eingewoben. Für die nötige Heiterkeit und Leichtigkeit sorgen hingegen die Schilderungen der Neun vom Stadtplatz, einer Gruppe älterer Herren, die auf ihre Weise Einfluss auf das Geschehen in der Stadt nehmen.
Daneben ist der Roman aber auch eine Hommage an das Piemont als Genießerregion: Alba ist nicht zuletzt durch seine Trüffelmesse berühmt, im nicht weit entfernten Turin wurde der Gianduia-Nougat erfunden und Bra ist das Zentrum der Slow-Food-Bewegung. So läuft einem beim Lesen so manches Mal das Wasser im Munde zusammen und wie schon der Vorgängerroman „Die Fäden des Glücks“, der vor allem in Turin spielt, macht auch dieses Buch große Lust darauf, die Region zu erkunden – am besten im Herbst, in der Jahreszeit, in der die Geschichte spielt und in der auch die Trüffelmesse stattfindet, die jährlich viele Besucher anzieht.
Fazit: Eine wunderbare Geschichte, sehr tiefgründig und poetisch erzählt, die ideale Lektüre für ein herbstlich-melancholisches Wochenende.