Alle Tage, die wir leben

Erstellt am 9.1.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Alle Tage, die wir leben“
von Dagmar Hansen
Bewertung
★★★★★
Verlag Rowohlt
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen November 2019
Seiten 315 Seiten
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Dieser Roman war der erste, den ich 2020 gelesen habe und es stellte sich heraus, dass er wahrlich die perfekte Lektüre zum Jahresanfang war. Es geht darin um Mathilde, genannt Tilda, die kurz vor ihrem 60. Geburtstag steht. Doch dann verliert ihr Schreibbüro seinen wichtigsten Auftraggeber. Damit hat Tilda plötzlich echte Existenzsorgen: Kurz vor dem offiziellen Eintritt ins Rentenalter muss sie sich fragen, wovon sie später einmal leben wird. Es muss also schnellstens ein neuer Job her, egal was! Allerdings ist die Auswahl für Frauen in diesem Alter leider nicht sehr groß. Da kommt das Stellengesuch von Ruth, die sich selbst als „Frau im besten Alter (84)“ bezeichnet, gerade recht:

Zwar ist Ruth selbst fit und lebensbejahend, doch sind im Laufe der letzten Monate und Jahre viele ihrer Bekannten gestorben und das hat sie nachdenklich gemacht. Als sie vom schwedischen „Döstädning“ (englisch: Death Cleaning) hört, ist sie davon sehr angetan. Es geht dabei quasi darum, vor seinem Tod in seinem Leben aufzuräumen. Damit ist nicht nur (aber natürlich auch) all der Krempel gemeint, der sich im Laufe der Jahre in der Wohnung ansammelt, sondern auch gewisse Dinge, die man vielleicht noch erledigen möchte, Missverständnisse, die man aus der Welt räumen, Streitigkeiten, die man aus der Welt schaffen möchte. Ruths Sohn Jonas steht der Idee zwar skeptisch gegenüber, rät seiner Mutter aber, sich dafür Hilfe zu holen. Und hier kommt Tilda ins Spiel.

Die Chemie zwischen Ruth und Tilda stimmt auf Anhieb und so machen sich die beiden Frauen ans Werk: Schränke werden ausgemistet, Kleidung, Schmuck und Deko aussortiert. Doch wohin mit all diesen Sachen, die zu schade zum Wegwerfen sind? Die Frauen veranstalten eine Schöne-Dinge-Party mit Freunden und Nachbarn, mit Musik, Kaffee, Kuchen und guter Laune. Doch das war natürlich nur der einfache Teil. Viel komplizierter wird es, als Ruth sich dazu durchringt, nach Jahren wieder Kontakt zu ihrer jüngeren Schwester aufzunehmen, zu ihrer einst besten Freundin, mit der sie nach einem bösen Betrug gebrochen hat, und vor allem zu ihrer eigenen Tochter, die kein Wort mehr mit ihr spricht. Es kommt zu Begegnungen, die nicht nur Ruth, sondern auch Tilda sehr zu Herzen gehen, zumal es dabei nicht immer ein Happy End gibt.

Tilda selbst lernt durch die ältere Freundin, sich mit dem eigenen Leben und ihrer Vergangenheit auszusöhnen. Tilda ist nämlich schon sehr jung verwitwet, dabei wollte sie doch mit ihrer großen Liebe eine Familie gründen, gemeinsam alt werden. Dazu ist es nie gekommen, stattdessen steht Tilda nun alleine da – nein, nicht alleine, nur ohne Familie, aber zum Glück nicht ohne Freunde. Und dank Ruth auch nicht ohne Lebensmut. Dazu möchte ich zwei Sätze zitieren: „Denn jeder Tag bot die Chance, etwas loszulassen, das nicht mehr wichtig war. Jeder Tag bot auch die Chance, offen zu sein für etwas Neues, das mir begegnen würde.“

Mich hat dieses Buch von der ersten Seite an sehr berührt und ich habe vor allem Ruth sofort ins Herz geschlossen. So eine positive Lebenseinstellung möchte ich im Alter auch einmal haben! Die Energie, die sie und Tilda beim Ausmisten an den Tag gelegt haben, hat sich direkt auf mich übertragen. Gerade der Jahreswechsel ist ja ohnehin eine Zeit, um Bilanz zu ziehen, Vergangenes noch einmal Revue passieren zu lassen und dann abzuschließen, sich Neues vorzunehmen, auszusortieren, sich vielleicht auch von Dingen (und Menschen) zu trennen, die einem nicht gut tun… dafür ist dieser Roman die perfekte Motivationshilfe und somit ein Buch, das ich aus vollstem Herzen empfehlen kann.

Die Autorin Dagmar Hansen ist mir seit ihrem Roman „Zucker auf der Fensterbank“, den ich irgendwann in den 1990ern gelesen habe, ein Begriff. Seitdem hat sie zahlreiche Romane veröffentlicht, die zum Teil auch fürs Fernsehen verfilmt wurden. Unter dem Pseudonym Clara Sternberg hat sie u.a. 2016 den Roman „Auch morgen werden Rosen blühen“ veröffentlicht, der mir seinerzeit sehr gut gefallen hat.