„Signora Sommer tanzt den Blues“ | |
von Kirsten Wulf | |
Bewertung
★★★★☆
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Verlag | Kiepenheuer & Witsch |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | Juni 2020 |
Seiten | 368 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
In einem alten Palazzo im römischen Stadtteil Trastevere stoßen drei höchst unterschiedliche Frauen aufeinander: die trauernde Deutschlehrerin Laura Sommer, Mitte 50, die flippige Blues-Sängerin Fra, die eigentlich Francesca heißt und irgendwo in den späten Dreißigern ist, sowie die junge amerikanische Studentin Samantha, die sich als Influencerin Samy einen Namen machen will und ihr Leben komplett durchgetaktet hat. Ein Wasserschaden sorgt dafür, dass Fra und ihre Untermieterin Samy sich im Stockwerk über ihrer eigenen Wohnung bei Laura einquartieren müssen. Schließlich kam das Wasser von dort und überhaupt ist bei Laura sowieso viel mehr Platz.
Laura hat keine Kraft, diese unliebsamen Mitbewohner wieder loszuwerden, denn sie ist vollkommen gefangen in ihrer Trauer: Eigentlich aus Buxtehude stammend, ist sie vor ein paar Jahren ihrer großen Liebe Fabio nach Rom gefolgt, doch Fabio ist wenige Tage vor der Hochzeit ganz plötzlich gestorben. Seitdem versinkt Laura in einem schwarzen Loch, kann kaum mehr atmen, geschweige denn arbeiten, schon das Aufstehen macht ihr Mühe.
Auch Fra hat ihre Geheimnisse, doch die versteckt sie hinter ihrem schrillen Aussehen, den bunt gefärbten Haaren und den vielen Tattoos. Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein, doch Fra setzt sich in den Kopf, Laura aus ihrer Depression herauszuziehen und dabei helfen soll ihr die Musik. Fra ist leidenschaftliche Blues-Sängerin und -Tänzerin und sie ist überzeugt, der Blues ist auch für Laura das richtige Heilmittel, denn (Zitat): „Blues ist dein Seelenschmerz und gleichzeitig das Gegengift.“ Tatsächlich gelingt es ihr ganz allmählich, Zugang zu Laura zu finden. Dabei helfen ihr ihre Freunde, der Tanzlehrer Antoine, der Kneipenbesitzer Edoardo und Mario, Fras Rettungsanker in allen Lebenslagen. Stück für Stück tastet Laura sich zurück ins Leben.
Parallel dazu wird eine Geschichte erzählt, die in der Vergangenheit spielt, in Rom kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in demselben Palazzo. Dort nämlich tanzt die junge Guendalina nachts heimlich mit ihrem Verehrer, dem dunkelhäutigen US-Soldaten Lesley. Die beiden verbindet eine Liebe, die nicht sein darf, und die gemeinsame Leidenschaft fürs Tanzen und den Blues.
Erst ganz am Ende stellt sich heraus, wie die beiden Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen. Zuvor sorgt die perfektionistische Samy mit ihrer Instagram-Besessenheit noch für mächtig Wirbel und dramatische Verwicklungen, Lauras deutscher Ex-Mann taucht ebenso auf wie ihre italienische Fast-Schwiegermutter und ganz am Ende gibt es noch eine faustdicke Überraschung.
Ich muss gestehen, ich habe eine Weile gebraucht, bis ich mich so richtig auf diesen Roman einlassen konnte. Zuvor hatte ich „Wie sagt man ich liebe dich“ gelesen, eine zauberhafte Geschichte, die mit großer Leichtigkeit zwischen dem Paris der 60er Jahre und dem Lissabon der Gegenwart hin und her pendelt. Da fiel es mir schwer, umzuschalten auf diese doch etwas schwermütige Geschichte, die sich gerade am Anfang meiner Meinung nach etwas zäh in die Länge zieht. Doch ich habe von Kirsten Wulf vor drei Jahren schon den wunderbaren Roman „Sommer unseres Lebens“ gelesen, in dem es übrigens auch um drei sehr unterschiedliche Frauen geht, und so wollte ich auch diesem neuen Buch eine Chance geben. Und das hat sich gelohnt, denn schon bald nahm die Geschichte an Fahrt auf und wurde letztlich so spannend, dass ich das letzte Drittel quasi nonstop in einem Rutsch durchgelesen habe.
Die Spannungen zwischen den drei sehr unterschiedlichen Frauen sind das Besondere an diesem Roman: Jede hat ihre Probleme, jede geht anders damit um, nicht jede ist sich ihrer Probleme überhaupt bewusst und es wird auch nicht jedes Problem am Ende des Romans gelöst, es gibt also kein kitschiges „Friede-Freude-Eierkuchen“-Happy End, aber dennoch einen sehr positiven Ausblick auf die Zukunft. Alles in allem ein sehr schöner Roman, der nicht nur die Herzen von Blues-Fans höher schlagen lässt, sondern auch die aller Rom-Liebhaber, denn die Ewige Stadt, insbesondere der Stadtteil Trastevere, wird hier sehr liebevoll und stimmungsvoll geschildert.
Was ich mir beim Lesen übrigens noch gewünscht hätte, wäre eine Playlist zum Roman, ähnlich wie es diese schon zum Vorgängerroman „Sommer unseres Lebens“ auf der Homepage der Autorin gibt. Und kaum war diese Rezension hier fertig geschrieben, schon las ich auf Instagram, dass es diese Playlist nun gibt. Hier der link direkt zu Spotify. Damit macht die Autorin nicht nur mir eine Freude, sondern auch meinem Mann, einem leidenschaftlichen Blues-Fan und Gitarrenspieler.