Das war die schönste Zeit

Erstellt am 22.8.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Das war die schönste Zeit“
von Jane Sanderson
Bewertung
★★★★★
Verlag Goldmann
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Juli 2020
Seiten 512
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Eine Frage an alle Ü40-Leser hier: Erinnert Ihr Euch noch an die Mixtapes, die guten alten Audiocassetten, auf denen man seinerzeit Songs aus dem Radio aufgenommen hat? Ich jedenfalls sehe mich noch da sitzen, jeden Freitag Abend, wenn auf Bayern 3 die Hitparade kam, mit zwei Fingern über den Aufnahmeknöpfen meines Cassettenrekorders schwebend und mich ärgernd, wenn der Moderator mal wieder dazwischengequatscht hat.

Ein solches Mixtape spielt auch eine große Rolle in diesem Roman, denn die 16-jährige Alison bekommt 1978 von ihrem ersten Freund Daniel ein solches Mixtape geschenkt. Die Liebe zur Musik ist etwas, was sie beide verbindet, doch sonst steht ihre Liebe unter schwierigen Vorzeichen: Obwohl beide in der Arbeiterstadt Sheffield, geprägt von der Stahlindustrie, aufwachsen, so lebt Daniel doch sehr behütet in einer intakten Familie mit Mutter, Vater und zwei Geschwistern. Alison hingegen hat einen älteren Bruder und sie beide kümmern sich um ihre alkoholkranke alleinerziehende Mutter, fürchten sich vor deren wechselnden, oft gewalttätigen Liebhabern und müssen beide schwer arbeiten, um wenigstens das Nötigste zum Leben zu haben. Alison schämt sich vor Daniel und verheimlicht ihm, wo sie wohnt.

Dennoch sind die beiden miteinander glücklich, bis sich die Ereignisse bei Alison daheim überstürzen und sie nur noch einen Ausweg sieht: Flucht. Daniel ist verzweifelt, er braucht Jahre, bis er über den Verlust hinweg kommt. Doch die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden und so leben alle beide gut 30 Jahre später ein geordnetes Leben: Daniel ist Musikjournalist und wohnt mit Frau und erwachsenem Sohn in Edinburgh. Alison ist ebenfalls verheiratet, hat zwei fast erwachsene Töchter und ist in Adelaide, Australien, heimisch geworden. Seit kurzem ist sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin, plötzlich muss sie Interviews geben und ihr Ruhm reicht bis nach England.

So wird Daniel eines Tages auf Alisons Twitter-Account aufmerksam und sieht sich plötzlich einer Flut von Erinnerungen ausgesetzt. Er will mit Alison Kontakt aufnehmen, weiß aber nicht so recht wie. Also schickt er ihr kurzerhand den link zu Elvis Costellos Song „Pump it up“, mit dem sie beide viele gemeinsame Erinnerungen verbinden. Und tatsächlich antwortet ihm Alison, schickt ihm ebenfalls den link zu einem Song aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

So beginnt eine Art Konversation über Musiktitel, die zwischen den Kontinenten hin und her geschickt werden. Und beide tauchen immer mehr ein in ihre Vergangenheit, erinnern sich an längst vergessen geglaubte, letztlich aber doch nur verdrängte Gefühle. Die Frage „Was wäre gewesen, wenn…“ drängt sich immer mehr in den Vordergrund. Wie hätte sich ihrer beider Zukunft entwickelt, wenn Alison damals nicht überstürzt das Land und Daniel verlassen hätte? Wären sie immer noch zusammen? Miteinander glücklich? Vielleicht sogar glücklicher, als sie es jetzt mit ihren jeweiligen Partnern sind? Fragen über Fragen und schließlich setzt sich Daniel kurzentschlossen ins Flugzeug und fliegt ans andere Ende der Welt, um Alison wiederzusehen. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte…

Dieser Roman hat mich von der ersten Seite an gepackt. Er ist abwechselnd aus Alisons und aus Daniels Perspektive geschrieben und spielt auf zwei Zeitebenen, einmal im Jahr 2012 und einmal in den Jahren 1978/79. So bleibt es immer spannend und erst ganz allmählich erfährt man als Leser von der zart aufkeimenden Liebe zwischen Alison und Daniel und von all den Vorfällen, die zum abrupten Ende ihrer Beziehung geführt haben. Man schwelgt mit ihnen in Erinnerungen, zweifelt mit ihnen, leidet mit ihnen – und das alles wird untermalt vom Soundtrack der späten 1970er Jahre.

Die Playlist zum Roman – also quasi das Mixtape von damals – kann man sich auf der Webseite des Goldmann-Verlags anhören. Ich muss zugeben, ich kannte nicht jeden Song, der im Buch vorkommt (ich bin eher ein Kind der 1980er Jahre), aber nun bin ich sehr neugierig geworden und werde mir all diese Songs jetzt in Ruhe zu Gemüte führen.

Fazit: Ein wundervoller Roman über die erste große Liebe, über Jugenderinnerungen und über Musik, ganz ohne Kitsch und Verklärung, nostalgisch und doch realistisch. Absolute Leseempfehlung!