„Das doppelte Gesicht“ | |
von Heidi Rehn | |
Bewertung
★★★★★
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Verlag | Aufbau Verlag |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | Dezember 2020 |
Seiten | 351 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Wer meinem Blog schon etwas länger folgt, der weiß, dass ich ein großer Fan der historischen Romane von Heidi Rehn bin. Nun hat die Autorin gewissermaßen das Genre gewechselt, vom Roman zum Krimi, aber noch immer historisch und wie gewohnt bestens recherchiert.
„Das doppelte Gesicht“ nimmt den Leser mit ins München der Nachkriegszeit, genauer gesagt in den Sommer 1945. Die Stadt liegt größtenteils in Schutt und Asche, die amerikanische Militärregierung hat ihre Arbeit aufgenommen und führt auch das Oberkommando über die Münchner Polizei. Hier findet sich der junge Emil Graf wieder: Als Kriegsgefangener hatte er einst Captain Joe Simon als Dolmetscher gedient und dabei so gute Arbeit geleistet, dass der Captain ihn mit nach München genommen und als seinen Assistenten bei der Kriminalpolizei untergebracht hat, obwohl Emil bis dato keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hat.
Nun wird er gleich mit drei ganz ähnlich gestrickten Mordfällen konfrontiert: Bei allen dreien handelt es sich um Kriegsheimkehrer, einst angesehene Mitglieder des NS-Regimes. Gleich beim ersten Mordopfer, Viktor von Dietlitz, begegnet Emil Billa Löwenfeld, einer aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Jüdin, die nun als Reporterin für ein US-Magazin über ihre einstige Heimatstadt berichtet. Die beiden finden sich durchaus sympathisch, dennoch bestehen auf beiden Seiten auch enorme Vorbehalte. Und schließlich kommt Emil dahinter, dass ausgerechnet Billa – oder vielmehr ihre Mutter Lilo – das Bindeglied zwischen den drei Opfern sein könnte. In welcher Beziehung stand die Jüdin Lilo Löwenfeld zu den Nazi-Größen? Und welche Rolle spielt der ehemalige ukrainische Zwangsarbeiter Pjotr, Billas Informant und „displaced person“, der sie überhaupt erst zu Viktor von Dietlitz gelockt hat? Als auf einmal der vermeintlich Tote quicklebendig vor der Münchner Polizei steht, spitzt sich die Lage dramatisch zu und Billa gerät in Lebensgefahr…
Heidi Rehn ist hier ein sehr spannender Krimi gelungen, bei dem man als Leser lange im Dunkeln tappt und beim dramatischen Höhepunkt das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen kann. Zugleich zeichnet sie aber auch ein sehr plastisches Bild vom kriegszerstörten München, das ich (zum Glück!) bisher nur aus mehr oder weniger vagen Erzählungen kannte. Man sieht die Schuttberge, die zerstörten Häuser, die Militärfahrzeuge und die vielen hungrigen und obdachlosen Leute förmlich vor sich, wenn man an Billas oder Emils Seite durch die Stadt streift. Auch die Details zur damaligen Administration waren mir neu und ich habe wieder einmal viel über die deutsche und die Münchner Geschichte gelernt, so wie eigentlich immer in Heidi Rehns Büchern.
Angeschnitten werden dabei viele ernste Themen, was sich angesichts der Zeit, in der dieser Krimi spielt, quasi von selbst ergibt: Nationalsozialismus, Judenverfolgung, Zwangsarbeiter, Kriegsverlierer und -gewinnler und noch einiges mehr, was ich hier aber nicht erwähnen kann, ohne dabei allzu viel über die Handlung zu verraten. Auf jeden Fall eine Lektüre, die noch lange nachwirkt und mir wieder einmal verdeutlicht hat, wie gut es uns doch heutzutage geht, trotz Corona.
Übrigens: Bei „Das doppelte Gesicht“ handelt es sich um den Auftakt zu einer Serie. Der zweite Teil soll im kommenden Herbst erscheinen. Auf Nachfrage verrät die Autorin: „Die Idee ist, München in der Stunde Null – zwischen Kriegsende 1945 und Gründung der Bundesrepublik 1949 – zu zeigen. Jedes Jahr steht unter einem spezifischen Thema, das damals eine Rolle spielte. 1945 die Kriegsheimkehrer und Displaced Persons, 1946 wird es die Entnazifierung und der berühmte Fragebogen mit den 131 Fragen zur Verstrickung ins Naziregime gehen, 1947 wird es der Schwarzmarkt vor allem in der Möhlstraße sein etc.“ Man darf also gespannt sein auf die folgenden Bände.
Update: Am 22.12.2020 ist zudem eine leicht verkürzte und veränderte Form meiner Rezension in der Ebersberger Zeitung / Münchner Merkur erschienen: