Die Hofgärtnerin

Erstellt am 25.3.21. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Hofgärtnerin“
von Rena Rosenthal
Bewertung
★★★★★
Verlag Penguin
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen März 2021
Seiten 679
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Dieser Roman war für mich gleich in doppelter Hinsicht ein Glücksfall: Zum einen, weil ich ihn bei einer Verlosung der Hugendubel Buchhandlungen gewonnen habe, zum anderen, weil er sich als ungemein spannend, lehrreich und vielschichtig entpuppte.

Die Geschichte spielt im Jahre 1891 in Oldenburg. Dort lebt die Halbwaise Marleene in ärmlichen Verhältnissen. Um sich und ihre kranke Mutter zu ernähren, arbeitet sie als Stubenmädchen in einem Hotel. Doch ihr eigentlicher Traum ist es, Gärtnerin zu werden. Schon ihr verstorbener Vater war Gärtner in der Hofgärtnerei, von ihm hat Marleene die Liebe zu Pflanzen geerbt. Allerdings ist es für Frauen quasi unmöglich, eine Gärtnerinnenlehre zu machen. Zweimal ist Marleene schon bei Alexander Goldbach, dem Besitzer der Hofgärtnerei, vorstellig geworden. Und obwohl Alexander händeringend Personal benötigt, schickt er sie weg: Was soll er mit einem weiblichen Lehrling anfangen?

Dann wird im Hotel ein Gast zudringlich und die Chefin gibt Marleene die Schuld daran. Sie verliert ihre Arbeit und kann die Miete in der Arbeiterunterkunft, wo sie sich ein Zimmer mit ihrer Cousine Frieda teilt, nicht mehr zahlen. In ihrer Verzweiflung greift sie zu drastischen Maßnahmen: Sie schneidet ihre Haare ab, hüllt ihre ohnehin klapperdürre Figur in Männerkleider und bewirbt sich erneut bei der Hofgärtnerei, diesmal jedoch als Mann, und wird prompt genommen.

Fortan lebt Marleene alias Marten immer in der Angst vor Entdeckung. Doch sie liebt ihre neue Arbeit und gewinnt mit der Zeit auch die Achtung ihrer Kollegen, die dem schmächtigen neuen Lehrling zunächst höchst skeptisch begegneten. Besonders gut versteht sie sich mit Julius Goldbach, Alexanders Sohn. Die beiden teilen die Leidenschaft für Pflanzenzucht und Julius ist überglücklich, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem er sich austauschen kann, denn bei seiner Familie findet er leider kein Gehör: Alexander hat Geldsorgen, Julius‘ Bruder Konstantin hat nur seine weiblichen Eroberungen im Kopf und Schwester Rosalie denkt sowieso nur an sich selbst. Mit ihr hat Marleene übrigens schon zu Schulzeiten schlimme Erfahrungen gemacht, zum Glück kann Rosalie sich jedoch nicht an sie erinnern. Trotzdem: Die Gefahr, enttarnt zu werden, wächst mit jedem Tag.

Die Geschichte spielt größtenteils in der Hofgärtnerei, folglich dreht sich vieles um Blumen und Pflanzen. Vor allem Flieder und Rhododendron spielen eine wichtige Rolle und man erfährt beim Lesen viel über die Art und Weise, wie damals in einer Gärtnerei gearbeitet wurde. Das hat meine Sehnsucht nach Frühling und der Arbeit im eigenen Garten sehr befeuert – leider hat es in der Zeit, während ich diesen Roman gelesen habe, bei uns nochmal geschneit!

Das Buch hat aber noch so viel mehr zu bieten: Denn es geht im Wesentlichen um die Rolle der Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert. Dass Frauen damals wenig bis gar keine Rechte hatten, wusste ich zwar schon vorher, aber die Schilderungen hier im Buch haben doch nochmal vieles verdeutlicht und mich teilweise sehr erschüttert. So wird beispielsweise die mangelnde Schulbildung kritisiert und dargelegt, dass Frauen damals nur sehr begrenzte Möglichkeiten hatten, einen Beruf zu ergreifen. Sie waren vollkommen abhängig von Männern, sei es als Vater, Ehemann oder Chef. Nicht selten hat das die wehrlosen Frauen, gerade die in niedriger gesellschaftlicher Stellung, in höchste Not gebracht. Doch auch die Frauen der vermeintlich besseren Gesellschaft hatten unter ihrem starren Korsett zu leiden – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Gleichzeitig war dies eine Ära des Aufbruchs, der beginnenden Industrialisierung, der aufkeimenden Frauenrechtsbewegung und des Sozialismus. All dies wird in dem Roman angesprochen und zu einer sehr interessanten, vielschichtigen und stets spannenden Geschichte verwoben. Auf den knapp 700 Seiten wurde es nicht einmal langweilig, ständig passierte etwas Neues, immer wieder musste ich beim Lesen mit Marleene, ihrer Cousine Frieda oder den anderen Figuren der Geschichte mitbangen. Und auch das „grande finale“ lässt noch einige Fragen offen – kein Wunder, denn dies ist der Auftakt zu einer Trilogie, deren zweiter und dritter Teil im Frühjahr 2022 und 2023 erscheinen sollen. So lange heißt es nun also noch warten und sich ausmalen, wie die Geschichte weitergehen könnte.

Im Anhang des Buches findet sich noch eine Vielzahl interessanter Informationen, etwa zum historischen Hintergrund, zur Stadt Oldenburg anno dazumal, zum historischen Gärtnern, zu norddeutschen Bräuchen und der niederdeutschen Sprache. Die Autorin erzählt auch von ihrem eigenen Hintergrund, denn sie ist selbst in einer Gärtnerei aufgewachsen und konnte daher viel Fachwissen in die Geschichte mit einbringen. Neben einem Glossar und einem Personenverzeichnis gibt es außerdem Tipps für schöne Fliedersträuße und Rezepte für Fliederduftöl und Fliederzucker – die werde ich dieses Frühjahr bestimmt noch ausprobieren! Auf der Homepage der Autorin kann man sich dazu passende Etiketten herunterladen, ebenso wie eine Leseprobe des Romans. Außerdem gibt es dort weitere Hintergrundinfos und in den kommenden Tagen soll noch eine Bonusgeschichte bereit gestellt werden. Es lohnt sich also definitiv, dort ausgiebig zu stöbern.