„Mercury in München - Seine besten Jahre“ | |
von Nicola Bardola | |
Bewertung
★★★★☆
|
|
Verlag | Heyne Hardcore |
---|---|
Buchform | gebunden, eBook |
Erschienen | September 2021 |
Seiten | 432 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Diese Woche war ich im Queen- und Freddie-Mercury-Fieber. Nach dem hochinteressanten Presserundgang auf Freddies Spuren durch die Münchner Innenstadt habe ich daheim gleich angefangen, Nicola Bardolas Buch zu lesen. Akribisch recherchiert und mit vielen Berichten von Zeitzeugen angereichert, erzählt der Autor darin von der Zeit, die die Rockband Queen und insbesondere deren Leadsänger Freddie Mercury in München verbracht haben.
Eines gleich vorweg: Wer den Kinofilm „Bohemian Rhapsody“ gesehen hat, hat von Freddies Jahren in München womöglich einen falschen Eindruck bekommen. Das wird im Buch nicht nur vom Autor, sondern auch von vielen Weggefährten der Band kritisiert. Im Film wird es nämlich so dargestellt, als sei Freddie in München erst so richtig abgestürzt – dabei ist das Gegenteil der Fall. In München entstanden etliche Hitalben der Band („The Game“, „Flash Gordon“, „Hot Space“, „The Works“ und „A Kind Of Magic“) und Freddies Soloalbum „Mr. Bad Guy“, hier waren sie besonders kreativ und Mercury pflegte hier viele Freund- und Liebschaften, die teilweise bis zu seinem Tod andauerten. Weder seine langjährige Freundin, die Schauspielerin Barbara Valentin, noch sein Münchner Liebhaber, der Wirt Winnie Kirchberger, kommen im Film überhaupt vor.
Wie gut, dass Nicola Bardola da gründlicher ist! Zum ersten Mal treten Queen 1974 in München auf, dem Jahr, in dem Walter Scheel Bundespräsident und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister wird. Abba gewinnen mit „Waterloo“ den Grand Prix de la Chanson und Deutschland leidet unter den Terroranschlägen der RAF. Queen, die in England schon erste Erfolge feiern konnten, kennt hierzulande noch kaum jemand, doch Bardola hat gleich zwei Zeitzeugen aufgetrieben, die beim Münchner Konzert dabei waren: Didi Zill, langjähriger Fotograf der Zeitschrift „Bravo“, und Herbert Hauke, Gründer des Münchner Rockmuseums auf dem Olympiaturm.
Danach kommen Queen immer wieder nach München und vor allem ab 1979 lebt Freddie Mercury die meiste Zeit des Jahres hier. Ein wesentlicher Grund dafür sind sicher die Musicland-Studios im Münchner Arabellapark, die von Giorgio Moroder gegründet wurden. Toningenieur dort ist Reinhold Mack – er wird im Laufe der Zeit nicht nur zum Produzenten mehrerer Queen-Hits, sondern auch zu einem engen Vertrauten, sozusagen zum fünften Mitglied der Band. Mack ist es übrigens auch, der die Egos der vier Bandmitglieder immer wieder in Balance bringen muss. Mit Freddie verbindet ihn eine enge Freundschaft, Freddie wird sogar der Taufpate von Macks jüngstem Sohn und ist häufiger Gast zuhause bei Familie Mack, wo er mit den Söhnen Fußball spielt und ein ganz normales Familienleben genießt, etwas, was ihm selbst sein Leben lang vorenthalten bleibt.
Denn natürlich gibt es da die andere Seite von Freddie, seine sexuellen Vorlieben, die er in München so gut ausleben kann wie nirgendwo sonst. Denn München hat in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren eine sehr lebendige Schwulenszene, die der in New York oder anderen Großstädten in nichts nachsteht – mit dem Unterschied, dass Freddie sich in München völlig frei bewegen kann, unbehelligt von Fans und Paparazzi. Sehr ausführlich beschreibt Bardola die verschiedenen Bars, Clubs und Discotheken, in denen Mercury sich damals oft und gerne aufhält. Da ist z.B. das „Sugar Shack“, die In-Disco schlechthin, in der auch die Stones, Deep Purple, Frank Zappa und viele andere Stars gerne verkehrten. Bardola lässt die Erinnerung an diese Zeiten gleich durch zwei Frauen wieder aufleben: die Journalistin Ingeborg Schober, u.a. für die Süddeutsche Zeitung und den Bayerischen Rundfunk tätig, und Judith Schnaubelt, spätere Journalistin, damals aber noch Schülerin und häufiger Gast im „Sugar Shack.“ Auch der Medienmanager Fred Kogel kommt zu Wort.
Natürlich hat das Münchner Nachtleben Auswirkungen auf die Arbeit der Band: „Wir verbrachten mehr Zeit im Shack als im Studio“, erinnert sich beispielsweise Queen-Gitarrist Brian May. Dennoch ist München der Ort, an dem unzählige Hits der Band entstanden, wie z.B. „Crazy Little Thing Called Love“, von Freddie Mercury in der Badewanne seiner Suite im Park Hilton am Englischen Garten ersonnen, wie der Autor gleich mehrmals an verschiedenen Stellen im Buch erzählt. Auch der meistverkaufte Song der Band, „Another One Bites The Dust“, wurde hier geschrieben und aufgenommen.
Insgesamt lebte Mercury bis 1985/86 in München. Als er die Stadt verlässt und nach London zurückkehrt, weiß er bereits von seiner Aids-Erkrankung. Wann genau er davon erfahren hat, ist indes nicht sicher, Bardola zitiert mehrere Weggefährten Mercurys, die zu verschiedenen Zeiten eingeweiht wurden. Höhepunkt seiner Münchner Zeit ist sicher sein 39. Geburtstag, den Freddie am 5. September 1985 im Club „Old Mrs. Henderson“ feiert. Dabei entsteht das Video zu „Living On My Own.“ Zugleich stellt dieser Tag einen Wendepunkt dar: Freddie trennt sich von seinem langjährigen Münchner Liebhaber Winnie Kirchberger, sein neuer Lover Tim Hutton aus London ist ebenfalls auf der Party zugegen.
Freddie stirbt am 24. November 1991 in London, sein Tod jährt sich heuer zum 30. Mal. Wäre er noch am Leben, hätte er am 5. September 2021 seinen 75. Geburtstag gefeiert – kann man sich das vorstellen? Nicola Bardola ist mit seinem Buch auf jeden Fall eine sehr würdige Erinnerung an einen der größten Rockstars aller Zeiten gelungen. Ich habe nur einige wenige Kritikpunkte: Obwohl insgesamt chronologisch erzählt, springt der Autor in seinen Berichten oft in der Zeit hin und her, so dass man beim Lesen leicht den Überblick verliert. Ich hätte mir daher im Anhang eine Zeittafel gewünscht, in der wichtige Daten aufgeführt sind, z.B. die Daten der Münchner Konzerte und die Daten, wann Queen bzw. Freddie in München im Studio waren usw. Das hätte mir die Zuordnung der Ereignisse im Buch etwas leichter gemacht. Solch eine Zeittafel gibt es im Anhang leider nicht, dafür aber zwei Stadtpläne, in denen wichtige Orte eingezeichnet sind.
Apropos wichtige Orte: Streckenweise gerieten mir die Beschreibungen der vielen Münchner Clubs, die Freddie gern besucht hat, etwas zu lang und ausführlich, da hätte man meiner Meinung nach ruhig noch ein wenig straffen können. Andererseits zeichnet das Buch die Atmosphäre, die damals in München geherrscht hat, sehr gut nach. Ich selbst war damals ja noch ein Kind bzw. ein Teenager und kenne all diese Lokalitäten nur vom Hörensagen. Nun kann ich mir vieles besser vorstellen. Dazu tragen auch die vielen Fotos im Buch bei, insgesamt sind es 94 s/w-Abbildungen und 16 Seiten mit Farbfotos in der Buchmitte.
Einige Geschichten und Anekdoten werden im Buch mehrmals erzählt, so wie oben schon erwähnt die Entstehungsgeschichte von „Crazy Little Thing Called Love“, doch das hat einen guten Grund: Verschiedene Zeitzeugen haben eben auch verschiedene Erinnerungen an bestimmte Ereignisse. Und das ist wiederum ein großer Pluspunkt des Buches: Die Glaubwürdigkeit der Quellen wird durchaus kritisch betrachtet. Bardola, der selbst Musikkritiker ist und schon Biografien über Yoko Ono, John Lennon und Ringo Starr geschrieben hat, führt hier einige Beispiele an, wo sich die Erinnerungen der Zeitzeugen im Laufe der Jahre ändern – je nachdem, wie viel Geld ihnen von den Medien für ihre Erzählungen geboten wird.
Alles in allem habe ich diese Biografie mit großem Vergnügen gelesen, etliche Ohrwürmer gab es noch gratis obendrauf. Und die Lektüre hat mir Lust darauf gemacht, meine alten Queen-Alben mal wieder zu hören und weitere Werke der Band, die ich noch nicht kenne, zu entdecken. Denn obwohl ich Queen schon immer gut fand, war ich nie ein glühender Fan. Spätestens durch dieses Buch ist mein Interesse an ihrer Musik aber deutlich gestiegen.
[Als Werbung gekennzeichnet, da Rezensionsexemplar erhalten]