Die Johann-Strauß-Straße, an der das Humboldt-Gymnasium Vaterstetten (HGV) mit knapp 1600 Schülern und das Katharina-von-Bora-Kinderhaus (87 Kinder) liegen, ist seit vielen Jahren Gegenstand hitziger Diskussionen. Auch aktuell erregt die geänderte Verkehrsführung wieder die Gemüter. Als ehemalige Schülerin, Schülerlotsin, Mutter von zwei Kindern, die dort zur Schule gingen, und als langjährige Elternbeirätin habe ich mich oft mit dem Thema auseinandergesetzt.
Bis 2009: Vor der Einbahnstraßenregelung
Der Einbahnstraße voraus gegangen war eine Verkehrsssituation, die ähnlich gefährlich war wie heute. Die Eltern-Taxis hielten in 2. Reihe, mitten auf der Fahrbahn, im absoluten Halteverbot und an der Bushaltestelle, wie die nachfolgenden Fotos zeigen, die ich selbst im Zeitraum zwischen Dezember 2007 und Februar 2008 aufgenommen habe:
Leider gab es damals auch etliche Unfälle mit Personenschaden:
Ich war damals im Elternbeirat der Grundschule und Mitglied eines Arbeitskreises, der sich aus Schülerlotsen sowie Elternbeiräten der Grundschule und des HGV zusammensetzte (darunter auch eine CSU-Gemeinderätin). Nach etlichen Aktionen zur Aufklärung der Eltern, wie gut ihrem Nachwuchs ein Schulweg zu Fuß tun würde (dazu gibt es zahlreiche Studien), mussten wir einsehen: Wir können niemandem verbieten, sein Kind mit dem Auto zur Schule zu bringen. Aber wir können versuchen, die Situation zu entschärfen, indem wir die Verkehrsströme kanalisieren. So kam es damals zur Einbahnstraße, die vom Gemeinderat auch mit den Stimmen der CSU-Fraktion beschlossen wurde. Neben der Einbahnstraßenregelung wurden auch eine gesonderte Spur für Radfahrer und eine sog. Kiss&Ride-Spur beschlossen, also eine Kurzhaltezone, in der Pkws anhalten konnten, um Mitfahrer aussteigen zu lassen.
2009 – 2021: Einbahnstraße
Nach den Osterferien 2009 trat die Einbahnstraßenregelung zunächst als Provisorium in Kraft und bekam von Beginn an überwiegend positives Feedback. Eine Schulweghelferin schilderte mir seinerzeit ihre Eindrücke so: „Allein schon dadurch, dass der Pkw-Verkehr kontrollierter abläuft (weniger Autos, weniger Geschwindigkeit, geregeltes Halten), verringert sich die Unfallgefahr insgesamt erheblich. Besonders die Grundschulkinder werden langfristig davon profitieren. Außerdem wurde der Radweg erstaunlich gut angenommen. Es gab sogar einige positive Kommentare von Schülern, etwa: „Super, endlich ein gescheiter Radweg“… etc.“
Die Einbahnstraße gab es rund elf Jahre. Nach ihrer Einführung sollte sie zunächst ein, zwei Jahre als Provisorium bestehen bleiben, dann wollte man die Situation neu bewerten und die Einbahnstraße dann ggfs. richtig ausbauen. Dazu kam es nie, denn inzwischen hatte der Gemeinderat beschlossen, die alte Grund- und Mittelschule an der Johann-Strauß-/Gluckstraße abzureißen und einige hundert Meter entfernt neu zu bauen. Auf dem Gelände der alten Schulen soll eine Wohnbebauung entstehen. Daher machte es nun keinen Sinn mehr, die Einbahnstraße auszubauen, wenn man die Verkehrsführung wenige Jahre später aufgrund der Wohnsiedlung eventuell wieder ändern müsste. Das Provisorium blieb also bestehen – und die alten Schulgebäude stehen auch immer noch.
2021: Warum die Einbahnstraßenregelung aufgehoben wurde
Inzwischen sind die Planungen zur Wohnbebauung fortgeschritten, außerdem soll künftig wieder eine Buslinie im Zwei-Richtungs-Verkehr durch die Straße geführt werden. Darum hat die Gemeinde einen Arbeitskreis eingerichtet, der eine neue Lösung für die Verkehrsführung erarbeiten sollte. Diesem Arbeitskreis gehörten Vertreter der Schule, des Kindergartens, Anwohner, Hausverwaltung und andere Interessenten an. Polizei und Landratsamt haben sich leider nach dem ersten Treffen ausgeklinkt. Geleitet wurde der Arbeitskreis von einem Verkehrsplanungsbüro, das von der Gemeinde beauftragt wurde. Kosten dafür: rund 20.000 Euro.
Es war sicher nicht leicht, alle Interessen und Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, aber am Ende hat der Arbeitskreis einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der im Wesentlichen die Schaffung eines verkehrsberuhigten Bereiches vorsah – mit entsprechenden baulichen Veränderungen, damit diese Verkehrsberuhigung auch eingehalten wird. Leider hätte der Umbau nach Schätzungen des gemeindlichen Bauamts rund 1 Million Euro gekostet.
Deshalb befasste sich der Gemeinderat damit auch gar nicht erst, sondern beschloss, einfach nur die Einbahnstraßenregelung aufzuheben. Vorbehaltlich der Zustimmung von Polizei und Landratsamt sollte die Straße zudem morgens von 7:30 bis 9 Uhr für den Durchfahrtsverkehr (ausgenommen Lieferverkehr) gesperrt werden. Diese Zeit war ziemlich willkürlich gewählt und ging vor allem zu Lasten der Eltern, die zwischen 8 und 9 Uhr ihre Kleinkinder in die Krippe bringen müssen, der schlimmste Verkehr findet nämlich zwischen 7.30 und 7.55 Uhr (= Schulbeginn im HGV) statt. Vollkommen unberücksichtigt blieb dabei auch die Zeit um 13 Uhr herum, wenn die Masse der HGV-Schüler*innen Schulschluss hat – ja, trotz Nachmittagsunterricht herrscht auch um 13 Uhr Chaos vor der Schule, jeder Anwohner weiß das, die Gemeinderäte offenbar nicht.
Diese neue Regelung wurde mit den Stimmen von CSU, FDP, Freien Wählern und einer Parteilosen beschlossen, SPD und Grüne stimmten dagegen. Was mich in der Sitzung besonders geärgert hat, war die Aussage eines Gemeinderates, der sinngemäß meinte, die Kiss&Ride-Spuren würden die Eltern ja erst dazu einladen, ihre Kinder mit dem Auto zu bringen. Ganz im Gegenteil: Die Kiss&Ride-Spuren wurden eingerichtet, um die Situation sicherer zu machen, Radfahrer und Autos räumlich zu trennen und klar definierte Zonen zu schaffen, in denen Kinder gefahrlos aus den parkenden Autos aussteigen können.
Bürgermeister Leonhard Spitzauer sagte bei der Bürgerversammlung am 14. Oktober 2021 übrigens, dass er schon bei der Beschlussfassung im Juli nicht damit gerechnet habe, dass Polizei und Landratsamt der temporären Straßensperrung zustimmen würden. Dennoch wurde die Sperrung zunächst angeordnet, aber leider nicht rechtzeitig und nicht umfassend genug kommuniziert. Auch die Beschilderung vor Ort ließ zu wünschen übrig. Die Folge: Viele Unwissende in der ersten Schulwoche, viele Eltern, die mitten in der Kreuzung wendeten oder genau dort ihre Kinder aussteigen ließen, eine Polizei, die es bei Verwarnungen beließ, die nicht fruchteten, und schließlich nur eine Woche nach Schulbeginn die Aufhebung der Sperrung und die Kapitulation vor den Elterntaxis:
Aktuelle Situation
Schon kurz nach der Gemeinderatssitzung im Juli hatte Rüdiger Modell, Schulleiter des HGV, mich auf den in seinen Augen unglücklichen Beschluss angesprochen. Er kündigte an, sich zu Schuljahresbeginn die Verkehrslage zunächst eine Zeitlang anschauen und dann ein Pressegespräch mit mir führen zu wollen. Zu diesem Gespräch lud er außerdem die Elternbeiratsvorsitzende und die Schülersprecher mit ein. Bevor wir uns am 5. Oktober nachmittags trafen, habe ich mir zwischen 7:30 und 8 Uhr die Situation selbst direkt vor Ort angeschaut. Dabei ließen sich mehrere Problemstellungen beobachten:
1. Die Busse: Drei Schulbusse kommen morgens direkt hintereinander an. Es passen aber nur zwei in die Busbucht, folglich muss der dritte Bus dahinter warten. Da am Straßenrand aber schon alles mit Pkws zugeparkt ist, aus denen Kinder aussteigen, muss dieser Bus mitten auf der Straße, ja beinahe schon im Gegenverkehr darauf warten, dass er in die Busbucht einfahren kann.
2. Gefährliche U-Turns: Viele Autofahrer möchten nach dem Abladen ihrer Kinder die Straße wieder in die Richtung verlassen, aus der sie gekommen sind. Leider schaffen es die wenigsten Pkws trotz der breiten Straße, in einem Zug zu wenden. Vielmehr müssen sie mehrmals vor- und zurücksetzen, was natürlich auch zu gefährlichen Situationen führt:
3. Der Zebrastreifen: Hier kam es an diesem Morgen zu besonders vielen gefährlichen Situationen. Da sind zum einen die Autos, die entgegen aller Vorschriften direkt vor dem Zebrastreifen anhalten, um dort ihre Kinder aussteigen zu lassen. Dann gibt es leider etliche Autofahrer, die den Zebrastreifen komplett missachten. Und falls doch mal einer anhält, kommt von hinten ein Pkw, der das stehende Auto links überholt und dann auf der Gegenspur über den Zebrastreifen fährt.
Natürlich verhalten sich hier nicht nur die Autofahrer falsch, auch viele Schüler. Immer wieder nutzen Radfahrer den Zebrastreifen, um dort die Straße zu überqueren. Dazu folgende Anmerkungen:
Zum einen sind Kinder und Jugendliche keine Erwachsene und können oft die Gefährlichkeit ihrer Aktionen im Straßenverkehr noch nicht richtig überblicken. Es wäre die Aufgabe der Erwachsenen, das entsprechend zu berücksichtigen. Zum anderen geht es auch nicht darum, zu sagen: Die Autos sind schuld oder die Radfahrer sind schuld. Alle gemeinsam müssen sich in dieser Straße nunmal bewegen.
Und: Viele Radfahrer, die von Westen kommen und die Fahrradstellplätze vor dem HGV anfahren wollen, fahren genau deshalb auf dem Zebrastreifen, weil nur hier der Bordstein abgesenkt ist, was den Radfahrern den Weg auf den Gehsteig erleichtert.
4. Parkende Autos, ob irgendwo am Straßenrand oder in zweiter Reihe, die dann von nachfolgenden Fahrzeugen überholt werden, welche dadurch in den Gegenverkehr geraten:
Mit diesen Eindrücken folgte am Nachmittag das Gespräch mit den HGV-Vertretern. Am darauf folgenden Tag traf ich mich außerdem mit der Leiterin des Kinderhauses und dem dortigen Elternbeiratsvorsitzenden. Vollkommen unabhängig voneinander sagten sie alle, dass sie am liebsten die Einbahnstraße zurückhätten. Deren großer Vorteil war, dass die Verkehrsströme in verlässlich geordneten Bahnen gelenkt wurden. Autos und Radfahrer waren räumlich voneinander getrennt und die Bereiche, wo Autos anhalten und Kinder aussteigen lassen konnten, waren klar definiert, was jetzt leider alles nicht mehr der Fall ist.
Diese Verlässlichkeit vermissen übrigens nicht nur Kinder und Eltern, sondern auch viele Senioren, von denen etliche im angrenzenden Rossinizentrum wohnen. Auch sie tun sich schwer, die jetzt viel chaotischere Verkehrssituation zu überblicken (ich weiß das u.a. von meinen eigenen Eltern, 85 und 91 Jahre alt, aber auch von vielen anderen Anwohnern).
Die Verkehrssituation war auch Thema in der Bürgerversammlung am 14. Oktober 2021. Eine Elternbeirätin des HGV erzählte dabei, dass dem Elternbeirat schon von mehreren Unfällen und Beinahe-Unfällen berichtet worden sei.
Es steht zu befürchten, dass nun wieder erst schlimme Unfälle passieren müssen, bevor der Gemeinderat seinen Beschluss vom Juli überarbeitet. Im HGV wird derweil über Protest- und Unterschriftenaktionen nachgedacht. Das Fatale: Je chaotischer die Verkehrssituation vor der Schule ist, umso mehr Angst haben Eltern, ihre Kinder zu Fuß oder mit dem Rad kommen zu lassen. Und viele Radfahrer trauen sich nicht mehr, auf der Straße zu fahren und nutzen stattdessen den Gehweg, wo sie wiederum Fußgänger, darunter auch jüngere Schüler, die auf dem Weg zur Grundschule sind, gefährden. Dabei wäre dies hier sicher die beste Lösung:
Und wenn ich noch einen Wunsch äußern dürfte: Ich wünsche mir, dass der komplette Vaterstettener Gemeinderat eine Woche lang täglich zwischen 7:30 und 8 Uhr in der Johann-Strauß-Straße Dienst als Schulweghelfer tut. Das würde sicher dem einen oder anderen die Augen öffnen. Denn wie verschiedenen Wortmeldungen in der Juli-Sitzung zu entnehmen war, kennen einige Gemeinderäte die Situation vor Ort wohl nur vom Hörensagen.