„Der Salon - Wunder einer neuen Zeit“ | |
von Julia Fischer | |
Bewertung
★★★★★
|
|
Verlag | Bastei Lübbe |
---|---|
Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | Februar 2022 |
Seiten | 512 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Dieser Roman beginnt im Jahr 1956 im Dorf Hebertshausen in der Nähe von München. Dort führt die Kriegerwitwe Käthe Landmann einen kleinen Friseursalon, eifrig unterstützt von ihrer 20jährigen Tochter Leni. Die hat erfolgreich ihre Lehre abgeschlossen und die Gesellenprüfung absolviert und träumt nun davon, in einem großen eleganten Salon in München zu arbeiten. Als sie eine Stellenanzeige des Salon Keller am Münchner Odeonsplatz sieht, ergreift sie ihre Chance.
Ihr älterer Bruder Hans quält sich derweil in München mit seinem Medizinstudium. Dass Hans einmal Arzt wird, war der Wunsch seines verstorbenen Vaters und Hans weiß, dass Leni und seine Mutter vor allem deshalb so viel arbeiten, um ihm das Studium zu finanzieren. Doch eigentlich schlägt sein Herz für die Musik, heimlich spielt er Trompete in einer Band und macht die Nacht zum Tag in den vielen Jazzclubs der Stadt, die dank der amerikanischen Besatzer regen Zulauf erleben.
Charlotte war ein gefragtes Model und Hausmannequin der Modefirma Bogner, bis sie ihren Mann Kurt geheiratet hat. Seitdem lebt sie in einem goldenen Käfig, wird von ihrem Mann regelmäßig misshandelt, doch eine Scheidung kommt in den 1950er Jahren nicht in Frage. Als sie und Hans sich treffen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie treffen sich heimlich und träumen von einer gemeinsamen Zukunft.
Auch Leni verliebt sich und zwar in Hans‘ Studienfreund Karl. Der kommt aus einer reichen Arztfamilie, ist wie sein Vater und Bruder in einer schlagenden Studentenverbindung und begehrt gegen die Erwartungen auf, die seine Familie in ihn setzt. Der Playboy, der aussieht wie James Dean, erlebt mit Leni zum ersten Mal tiefe, echte Gefühle, doch mit Lenis Zielstrebigkeit und ihrer Selbstständigkeit kommt er nur schwer zurecht. Denn Leni verfolgt ehrgeizig ihre Karriere, absolviert ihren Meisterkurs und bringt mit Hilfe eines befreundeten Apothekers sogar ihre eigene Naturkosmetiklinie auf den Markt. Für die Liebe bleibt da nur wenig Zeit und schon gar nicht will sie sich einem Mann unterordnen, so wie Charlotte das tun muss. Als diese schwanger wird und ihr Mann hinter ihre Affäre mit Hans kommt, spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu.
Der Autorin Julia Fischer ist es von der ersten Seite an gelungen, mich in den Bann ihrer Geschichte zu ziehen. Da ich selbst im Raum München lebe und viele der Schauplätze gut kenne, hatte ich immer ein sehr plastisches Bild vor Augen. Doch auch den Friseursalon ihrer Mutter auf dem Dorf, das kleine Häuschen mit dem Gemüsegarten konnte ich mir sehr gut bildlich vorstellen. Und die Protagonisten dieses Romans – neben den bereits genannten sind das noch Hans‘ Studienfreunde Schorsch und Frieda – waren mir auf Anhieb sympathisch, so unterschiedlich sie auch alle dargestellt wurden.
Besonders beeindruckt hat mich beim Lesen die akribische Recherche, die der Geschichte zugrunde liegt. Denn die Autorin schildert nicht nur detailreich die Arbeit in einem Friseursalon bis hin zu den einzelnen Aufgaben bei der Meisterprüfung, sondern ebenso genau auch die Vorlesungen und Praktika der Medizinstudenten, Obduktionen inklusive. Mit Karl lernt man mehr über die (teils sehr fragwürdigen) Traditionen und Hierarchien einer Studentenverbindung, mit Charlotte gewinnt man Einblick in die Modewelt der 1950er Jahre und mit Frieda, als einer von sehr wenigen Medizinstudentinnen der damaligen Zeit, in die Rolle der Frauen in den 1950ern. Ja, und dann die Musik! Durch Hans lernt man die Jazz-Größen der damaligen Zeit ebenso kennen wie die schummrigen Kellerclubs in München. Sein persönliches Highlight war die Jamsession mit Miles Davis, der auch mir natürlich ein Begriff ist, obwohl ich sonst keine große Jazz-Kennerin bin.
Und dann ist da natürlich noch das große Thema Zweiter Weltkrieg: Käthe wartet noch immer vergeblich auf die Rückkehr ihres Mannes aus russischer Gefangenschaft. Hans wurde als Kind ungewollt Augenzeuge eines Erschießungskommandos und hinterfragt die Rolle seiner Eltern in der Nazizeit – kein Wunder, wenn man in nächster Nähe zum Konzentrationslager Dachau aufwächst. Schorsch wurde ausgebombt und musste miterleben, wie seine Mutter und Schwester im Luftschutzkeller verschüttet wurden, halb München liegt noch immer in Trümmern, die Wohnungsnot ist groß, doch der Wille, all die Schrecken hinter sich zu lassen und neu anzufangen, ist größer.
So ergibt sich ein sehr vielschichtiger Roman, der weit mehr und weit gewichtigere Themen behandelt als „nur“ das Thema Schönheit, wie es der Buchtitel vielleicht vermuten lässt. Dazu passt auch – Achtung winziger Spoiler! – das Ende des Romans, das ganz weit entfernt ist von Friede, Freude, Eierkuchen. Im Gegenteil: Als ich das letzte Kapitel las, spürte ich bereits, dass da noch ein schlimmes Unglück passieren wird. Ich hatte regelrecht Angst vor dem Weiterlesen, weil ich nicht wollte, dass das geschieht, was ich befürchtete. Und als es dann doch passierte, konnte ich die Tränen nicht zurückhalten, weil ich so mitgelitten habe. Dennoch endet das Buch mit einer versöhnlichen Note – und lässt mich jetzt extrem ungeduldig zurück, denn es wird noch eine Fortsetzung geben.
Fazit: Ein mitreißender, vielfältiger, sehr ergreifender Roman, den ich im Anschluss erstmal sacken lassen musste.
Von Julia Fischer habe ich bereits die wunderbaren Romane „Die Fäden des Glücks“ (spielt in Turin) und „Der Geschmack unseres Lebens“ (spielt im Piemont) gelesen. Mit „Der Salon“ schrieb sie erstmals einen historischen Roman, der noch dazu in ihrer und meiner Heimatstadt spielt. Auf der Homepage des Lübbe-Verlags findet man einen wunderbaren Buchtrailer sowie ein interessantes Interview mit der Autorin.