Teatime mit Lilibet

Erstellt am 17.6.22. Kategorie: Buchrezensionen
„Teatime mit Lilibet“
von Wendy Holden
Bewertung
★★★★☆
Verlag List
Buchform gebunden, Taschenbuch, eBook
Erschienen November 2020
Seiten 528
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Vor wenigen Tagen habe ich gebannt und fasziniert die Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum der englischen Königin Elizabeth II verfolgt. Man kann von der Monarchie im Allgemeinen und von den britischen Royals im Besonderen halten, was man will, dennoch sind diese 70 Jahre Regentschaft schon etwas ganz Besonderes und die Feierlichkeiten dazu ein Stück Geschichte, das man nicht allzu oft erleben kann.

Angeregt dadurch und durch die Empfehlung befreundeter Bloggerinnen habe ich mir nun endlich ein Buch vorgenommen, das schon länger auf meinem Reader schlummerte: „Teatime mit Lilibet“ erzählt die wahre Geschichte von Marion Crawford, der einstigen Gouvernante von Prinzessin Elizabeth, der späteren Queen, und deren Schwester Margaret.

Die Geschichte beginnt 1932 in Edinburgh. Hier wächst Marion in bescheidenen Verhältnissen auf und besucht ein Lehrerinnenseminar. Sie gehört zu jener Generation von Frauen, die endlich wählen und einen Beruf ergreifen darf und sie hat große Pläne: Sie will Kinder in den Slums unterrichten, um damit einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut zu leisten, denn in dieser Zeit ist ein großer Teil der britischen Bevölkerung wirklich bettelarm, ohne Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage.

Durch einen Sommerjob kommt sie in Kontakt mit der Familie des Herzogs von York, des späteren Königs George VI und Vater von Elizabeth und Margaret. Als man ihr anbietet, die Gouvernante der beiden Mädchen zu werden, zögert sie, widerspricht das doch ihren eigentlichen Lebenszielen. Doch die Leiterin ihrer Schule überzeugt sie: Wo, wenn nicht bei den Mächtigsten des Landes, kann sie besser dafür sorgen, dass das Bewusstsein für die Nöte der Bevölkerung geschärft wird?

Also tritt Marion die Stelle an und sieht sich in eine komplett andere Welt katapultiert. Ihr Vorsatz, Elizabeth und später auch Margaret in Kontakt mit dem „echten“ Leben zu bringen, lässt sich nur nach und nach und mit einigen Zugeständnissen umsetzen. Doch es gelingt ihr, mit den Mädchen U-Bahn zu fahren, ins Kino zu gehen, das Kaufhaus Woolworth zu besuchen und vor allem Elizabeths Blick auf die Welt zu schärfen.

Im Laufe der nächsten 16 Jahre wird Marion mehr und mehr zu einer Ersatzmutter für die beiden Mädchen, da deren eigene Mutter als Herzogin und später als Königin natürlich viele andere Verpflichtungen hat. Manchmal scheint es, als gehöre Marion ganz selbstverständlich mit zur Familie, dann wieder wird sie auf ihren Platz im Dienstbotentrakt verwiesen – besonders deutlich wird das, als die Familie nach der Krönung von George VI in den Buckingham Palace umzieht, wo Marions Kellerzimmer nicht nur ungeheizt und ohne jeden Komfort ist, sondern auch noch von Mäusen, Ratten und anderem Ungeziefer bewohnt wird.

Immer wieder denkt Marion darüber nach, ihre Arbeit aufzugeben, immer wieder lässt sie sich überreden, zu bleiben – und opfert dafür ihr eigenes (Liebes-) Leben. Denn schon bald muss sie erkennen: „Man gehörte entweder ganz dazu oder gar nicht. Man musste sich entscheiden.“ (Zitat). Crawfie, wie sie von den Mädchen genannt wird, entscheidet sich dafür, weiterhin für die Königsfamilie da zu sein. So zerbricht ihre Beziehung zu einem Fotojournalisten, der ihr Vertrauen missbraucht, und die Chance, selbst eine Familie zu gründen, verrinnt.

Als Elizabeth heiratet, wird Marion auf schnöde Weise „entsorgt“, der Kontakt zu Elizabeth und Margaret bricht ab – nicht zuletzt deshalb, weil Marion eine folgenschwere Entscheidung trifft, die ihr das Königshaus für den Rest ihres Lebens übel nimmt. Am Ende stirbt Marion nach zwei Selbstmordversuchen einsam und allein in Schottland (was im Roman nicht mehr erzählt wird, aber ich habe nach der Lektüre des Buches noch ein wenig im Internet über Marion recherchiert). Verbittert muss sie feststellen: „Früher, vor langer Zeit, war sie ein modernes Mädchen in einer damals weitgehend altmodischen Welt gewesen. Jetzt war sie das Relikt einer feudalen Vergangenheit in einem mutigen neuen Britannien“ (Zitat).

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich so richtig in die Geschichte eintauchen konnte. Anfangs war mir der Erzählstil ein wenig zu langatmig, außerdem verwirrten mich die vielen Personen samt ihrer Adelstitel, da wäre ein Personenregister oder noch besser eine kurze Ahnentafel im Buchanhang hilfreich gewesen, denn mir war z.B. anfangs gar nicht klar, dass es sich beim Herzog von York um den späteren König George VI handelt, der noch dazu von der Familie Albert, nicht George, genannt wird.

Je weiter die Geschichte fortschritt und vor allem, als ich die Lektüre dann beendet hatte, desto mehr hat mich die Handlung dann aber bewegt. Die Art und Weise, wie mit Marion umgegangen wurde, hat mich sehr betroffen gemacht, ebenso wie die extrem krassen Gegensätze zwischen Arm und Reich. Über viele Eigenheiten im britischen Königshaus kann man ja auch heutzutage nur den Kopf schütteln und im geschilderten Zeitraum zwischen 1932 und 1949 (plus Epilog, der im Jahr 1987 spielt) waren diese veralteten Strukturen ja noch viel schlimmer. Ich musste jedenfalls nach der Lektüre noch eine ganze Weile über Marion Crawford und ihr Schicksal nachdenken und mein Blick auf Queen Elizabeth II hat sich dadurch ehrlich gesagt nochmal etwas gewandelt.

Die Personen werden im Buch aus der Sicht von Marion Crawford eher neutral, nicht bewertend geschildert, aber dennoch ergibt sich durch die Lektüre ein recht deutlicher Eindruck: Elizabeth ist die Ruhige, Besonnene, Vernünftige, ihre jüngere Schwester Margaret die Aufmüpfige, Eifersüchtige, Boshafte. Ihre Mutter, die spätere „Queen Mum“ hingegen, empfand ich beim Lesen als ausgesprochen manipulativ, bestimmend und herrschsüchtig.

Alles in allem eine klare Leseempfehlung für alle Fans des britischen Königshauses und der englischen Geschichte im genannten Zeitraum.

Noch eine kleine Anmerkung: Das Buch ist im November 2020 als gebundene Ausgabe und als eBook im List-Verlag erschienen, im November 2021 folgte das Taschenbuch im Ullstein-Verlag. Alle Buchausgaben sind über die o.g. Links im lokalen Buchhandel erhältlich.

[Werbung, unbezahlt]