In einem Zug

Erstellt am 4.2.25. Kategorie: Buchrezensionen
„In einem Zug“
von Daniel Glattauer
Bewertung
★★★★★
Verlag DuMont
Buchform gebunden, E-Book
Erschienen Januar 2025
Seiten 204
Erhältlich beigenialokal.de

Schon seit meiner Kindheit fahre ich sehr gerne mit dem Zug. Ich liebe es, am Fenster zu sitzen und die Welt draußen vorbeigleiten zu sehen. Deshalb nutze ich Bahnfahrten tatsächlich auch eher selten zum Lesen, viel lieber höre ich dabei Musik oder Podcasts, so dass ich nebenbei aus dem Fenster in die Landschaft schauen, träumen oder auch heimlich meine Mitreisenden beobachten kann. Deshalb mag ich es auch nicht besonders, wenn mir eine*r dieser Mitreisenden ein Gespräch aufzwingen will, das über zwei, drei Sätze Smalltalk hinausgeht. Viel lieber habe ich meine Ruhe.

Genauso geht es auch Eduard Brünhofer, dem Protagonisten in diesem Roman. Brünhofer ist ein einst gefeierter, noch immer leidlich bekannter Autor von Liebesromanen, der mit dem Zug auf dem Weg von Wien zu seinem Verlag nach München ist. Dort erwartet ihn ein sehr unangenehmer Termin, so dass er jeden Gedanken daran lieber wegschiebt.

Als ihm schräg gegenüber eine Frau „frühen mittleren Alters“ Platz nimmt und ihn anspricht, ist er zunächst wenig erfreut. Doch Catrin Meyr, Physio- und Psychotherapeutin von Beruf, bleibt hartnäckig, außerdem nimmt das Gespräch schnell eine unerwartete Wendung. Langsam entwickelt sich eine Unterhaltung, von Brünhofer zunächst eher widerstrebend, bisweilen sogar etwas genervt geführt, doch bald erwacht seine Neugier und eigentlich ist er auch ganz froh, dass das Gespräch ihm eine willkommene Ablenkung von seinem Termin bietet und ihm erspart, sich mit seinen Unterlagen zu beschäftigen.

Von Station zu Station – die Reise führt von Wien über St. Pölten, Amstetten, Linz, Wels und weitere Stationen, nach denen jeweils auch die Kapitel benannt sind – wird das Gespräch tiefgründiger, ja intimer. Denn Catrins ungenierte Fragen zwingen Brünhofer dazu, sich intensiv mit den Antworten auseinander zu setzen. Es geht um seine Bücher, um sein Schreiben, um die Liebe, um Sex, um Brünhofers Frau … Catrin kennt kein Erbarmen, fragt aber so charmant, dass Brünhofer ihr nicht ausweichen kann und will. Das geht so weit, dass ein weiterer Fahrgast, der sich zu den beiden ins Abteil setzt, als unwillkommener Störenfried empfunden wird, den man schnellstmöglich wieder loswerden will. Nach gut vier Stunden intensiven Austausches kommt der Zielbahnhof in Sicht und gibt der Geschichte nochmal eine gänzlich unerwartete Wendung.

Dieser Plottwist am Schluss wurde, wie ich gelesen habe, von manchen Kritikern als unglaubwürdig und konstruiert empfunden, aber ich kann diese Meinung nicht teilen. Für mich war es einfach ein vollkommen überraschendes Element, das der Geschichte zu einem versöhnlichen Abschluss verhalf.

Insgesamt betrachtet ist dies zwar (unter anderem) ein Roman über die Liebe, aber kein Liebesroman im eigentlichen Sinne. Vielmehr geht es um die großen Fragen des Lebens: um die Liebe, um Beziehungen, um die Frage, wie man das Glück festhalten und die Leidenschaft am Brennen halten kann. Es geht um Zwischenmenschliches ebenso wie um innere Betrachtungen, an denen uns der Ich-Erzähler teilhaben lässt. Natürlich habe ich mir dabei immer wieder die Frage gestellt: Wieviel Daniel Glattauer steckt in Eduard Brünhofer? Jedenfalls konnte ich mich beim Lesen sehr gut in ihn hineinversetzen, es war, als säße ich selbst als stumme Zuhörerin mit im Zugabteil.

Für mich war das eine sehr unterhaltsame und durchaus zum Nachdenken anregende Lektüre, die ich – Achtung Wortwitz! – in einem Zug, also quasi in einem Rutsch durchgelesen habe. Ich mag den Schreibstil des Autors, der viel Humor und (Selbst-) Ironie enthält, und so habe ich mir am Ende vorgenommen, nun endlich mal einige der anderen Bücher von Daniel Glattauer zu lesen, die schon länger auf meiner Merkliste stehen. Natürlich habe ich seinen berühmten Erstling „Gut gegen Nordwind“ gelesen, ebenso die Fortsetzung „Alle sieben Wellen“. Auch „Geschenkt“ habe ich seinerzeit regelrecht verschlungen, aber da gibt es noch so viele weitere Werke zu entdecken …

[Als Werbung gekennzeichnet, da Rezensionsexemplar erhalten]