Palais Heiligendamm – Tage der Entscheidung

Erstellt am 21.2.22. Kategorie: Buchrezensionen
„Palais Heiligendamm - Tage der Entscheidung“
von Michaela Grünig
Bewertung
★★★★★
Verlag Bastei Lübbe
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Januar 2022
Seiten 560 Seiten
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Im Herbst 2020 habe ich mit großer Begeisterung den ersten Teil einer Trilogie namens „Palais Heiligendamm – Ein neuer Anfang“ gelesen. Es geht darin um eine Hoteliersfamilie in Bad Doberan bei Heiligendamm an der Ostsee und ihr Schicksal in den Jahren 1912 bis 1919. Letzten Juni folgte dann Teil zwei, „Palais Heiligendamm – Stürmische Zeiten“, in dem die Jahre 1922 bis 1933 erzählt werden. Nun endlich ist der dritte Teil erschienen, der die Jahre 1933 bis 1939 umfasst.

Angesichts dieser Jahreszahlen weiß man als Leser natürlich schon vorher, worauf man sich einlässt. Die Nationalsozialisten in Deutschland gewinnen weiter an Stärke und machen den Menschen das Leben schwer, auch der fiktiven Hoteliersfamilie Kuhlmann-Falkenheyn. Julia, die Tochter von Elisabeth und Julius, ist mittlerweile 17 Jahre als und muss miterleben, wie in der Schule immer mehr Propaganda Einzug hält und ihrer jüdischen Freundin Ava das Leben schwer gemacht wird. Als Ava die Schule verlassen muss, schließt Julia sich an und beginnt stattdessen eine Ausbildung im Hotel ihrer Familie, eine Aufgabe, die sie sehr erfüllt.

Ihr Onkel Paul fühlt sich ebenfalls sehr wohl in seiner Rolle als Geschäftsführer, doch sein heimlicher Liebhaber, der SA-Mann Carl, der mit Pauls Schwester Luise eine Scheinehe eingegangen ist, um seine homosexuellen Neigungen zu vertuschen, erpresst sowohl Paul als auch Luise, so dass Paul schließlich gezwungen ist, nach Berlin zu gehen und eine Stelle im Propagandaministerium anzunehmen, wo Carl ihn eingeschleust hat. Paul ist die Arbeit dort zuwider, ganz besonders, wenn er hilflos mit ansehen muss, wie schwule Freunde verhaftet, gefoltert und in Konzentrationslager gesteckt werden. Er lebt in ständiger Angst, selbst diffamiert und verhaftet zu werden.

Auch Luise ist unglücklich, bekommt sie als Schauspielerin doch nur noch Rollen in Propagandafilmen, die ihr keine Erfüllung bieten. Dazu kommt ihr unglückliches Privatleben. Erst als sie Willy kennenlernt, schöpft sie neue Hoffnung, doch obwohl Willy ihr ein verlässlicher Freund wird, scheint er ihre romantischen Gefühle nicht zu erwidern.

In Bad Doberan muss Julia immer häufiger stramme Nationalsozialisten im Hotel beherbergen, schließlich sogar Hitler selbst. Dazu kommt die permanente Angst um Ava und dann steht Julia auch noch zwischen zwei Männern: Da ist zum einen Hugo, der zwar mit den Nazis Geschäfte macht, aber dennoch nicht viel von ihnen zu halten scheint. Er ist immer zur Stelle, wenn Julia Hilfe braucht, ist aber auch ein Luftikus, der gerne freche Sprüche klopft und bei dem man nie weiß, wie ernst er es meint. Zum anderen ist da Fabian, ein sehr zurückhaltender junger Mann, der, wie Julia schließlich erfährt, heimlich im Widerstand arbeitet. Julia verliebt sich unsterblich in ihn, doch wenn Fabian sich zu ihr bekennt, bringt er sie unweigerlich in Gefahr. Und je weiter das Land auf einen Krieg zusteuert, umso dringender wird für alle Familienmitglieder die Frage: Bleiben oder gehen? Sollen sie Deutschland verlassen, so lange es noch möglich ist, dafür aber alles aufgeben, was ihnen hier lieb und teuer ist? Oder sollen sie bleiben und hoffen, dass alles doch nicht so schlimm wird wie befürchtet?

Die Lektüre war für mich von der ersten Seite an sehr bedrückend. Es war unglaublich beklemmend zu lesen, mit welchen Ängsten und Repressalien die Protagonisten dieses Romans fertig werden mussten. Kaum schien eine Gefahr gebannt, tauchte schon die nächste Schwierigkeit auf. Diese sehr bedrückenden Schilderungen machten mir anfangs das Lesen etwas schwer, doch je weiter ich las, umso mehr geriet ich in den Sog der Geschichte und fieberte mit den jeweiligen Familienmitgliedern mit.

Die Autorin hat für mein Empfinden unglaublich gut recherchiert und viele tatsächliche kleine und große Ereignisse der damaligen Zeit in die fiktive Geschichte eingewoben, die mal aus der Sicht von Julia, mal aus der Perspektive von Paul oder Luise erzählt wurde, während Elisabeth, die Hauptfigur der ersten beiden Bände, diesmal zur Nebenfigur wurde.

In meiner Rezension zum zweiten Teil schrieb ich, dass ich darauf hoffe, dass es auch noch einen vierten Teil geben wird, da damals schon bekannt war, dass Teil 3 mit dem Jahr 1939 endet und ich unbedingt wissen wollte, wie es mit der Hoteliersfamilie nach dem Zweiten Weltkrieg weitergeht. Jetzt, nachdem ich Teil 3 beendet habe, bin ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob ich mir einen vierten Teil wünschen soll oder ob das Ende gut ist, so wie es ist. Das Schicksal der einzelnen Familienmitglieder bleibt am Schluss von Teil 3 in vielen Teilen offen, aber ich kann mir nun zumindest ausmalen, dass sie alle den Krieg überstehen, dass ihnen vielleicht doch noch die Flucht gelingt und sie anderswo ein neues, glücklicheres Leben beginnen können. Das Schicksal des Hotels in Bad Doberan scheint mir indes besiegelt und nach drei Generationen auserzählt. Schließlich liegen Bad Doberan und Heiligendamm auf dem Gebiet der späteren DDR, viele der einstigen Prachtbauten wurden dem Verfall preisgegeben und selbst heute, über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, sind noch längst nicht alle Villen in der „weißen Stadt am Meer“, wie Heiligendamm auch genannt wird, renoviert, nur ein Teil davon erstrahlt wieder in altem Glanz.

Fazit: Eine sehr bedrückende, beklemmende Lektüre, streckenweise wirklich schwere Kost, aber vor allem gegen Ende so wahnsinnig spannend, dass ich die Nacht durchgelesen und danach noch lange wach gelegen habe, um das Gelesene zu überdenken. Deshalb letztlich eine ganz klare Leseempfehlung. Allerdings ist es unbedingt ratsam, alle drei Teile der Reihe nach zu lesen!