Wir Kassettenkinder

Erstellt am 13.1.17. Kategorie: Buchrezensionen
„Wir Kassettenkinder“
von Stefan Bonner & Anne Weiss
Bewertung
★★★★☆
Verlag Droemer Knaur
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Oktober 2016
Seiten 271 als Taschenbuch
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Ich bin ein waschechtes Kind der Achtziger. 1970 geboren, fiel bei mir die Phase der Entwicklung vom Kind hin zur Jugendlichen und weiter zur jungen Erwachsenen genau in dieses Jahrzehnt, das heute von vielen so nostalgisch verklärt wird. Fernsehen und Internet sind voll von diesem Thema, auf Facebook gibt es unzählige Seiten dazu. Nun haben Anne Weiss und Stefan Bonner ein Buch darüber geschrieben: „Wir Kassettenkinder“. Der Untertitel „Eine Liebeserklärung an die Achtziger“ trifft es haargenau.

Schon die Umschlaggestaltung mit ihren Neonfarben erinnert an damals, auf den Innenseiten der Umschlagklappen stehen berühmte Sprüche und Filmzitate aus diesem legendären Jahrzehnt, von Helmut Kohl über Otto Waalkes bis hin zu Larry Hagman. Und gewidmet ist das Buch all den „verstorbenen Helden, ohne die es nicht unser Lieblingsjahrzehnt gewesen wäre“ – darunter auch einige Stars, die erst 2016 von uns gegangen sind, wie etwa Prince, David Bowie oder Götz George.

In der Einleitung wird der Begriff „Kassettenkinder“ erklärt und da wurden bei mir sofort Erinnerungen wach. Auch ich saß damals jeden Freitag Abend in Alarmbereitschaft vor meinem Kassettenrekorder, um in den Top 10 auf Bayern 3 nur ja keinen meiner Lieblingshits zu verpassen. Schließlich war das eine der wenigen Sendungen, bei der man sich halbwegs sicher sein konnte, dass der Moderator nicht in den Song hineinquatschte und damit die Aufnahme verdarb. Einige dieser Mixtapes von damals habe ich heute noch und wenn einer dieser Songs im Radio kommt, kann ich genau sagen, welches Lied auf meiner Kassette im Anschluss folgte.

Weiter geht’s im Buch mit Erinnerungen an Kindheit und Schulzeit, an typische Spiele, Songs, Filme und TV-Sendungen von damals, wie z.B. „Wetten dass“. Gerade bei den Schilderungen der Schulzeit tauchten vor meinem geistigen Auge sofort wieder die Bilder von damals auf – wobei meine Erinnerung schon allein dadurch frisch gehalten wird, dass meine Kinder später die gleiche Schule besuchten bzw. noch immer besuchen wie ich seinerzeit.

Ich muss allerdings gestehen, dass ich nach zwei Kapiteln schon ein wenig ungeduldig wurde, ja fast schon überdrüssig ob dieser Verklärung der guten alten Zeit, der heilen „Schrankwandwelt“, die unsere Eltern laut Autoren für uns geschaffen hatten. Für mich war das zwar durchaus zutreffend, aber ich kenne auch genug Gleichaltrige, deren Welt auch in den Achtzigern längst nicht so heil war. Insgesamt muss ich den Autoren allerdings zustimmen: Wir Jugendlichen von damals lebten vergleichsweise behütet und unbesorgt, denn Bedrohungen wie der Kalte Krieg, RAF-Terror, Umweltverschmutzung usw. waren für uns damals zunächst sehr weit weg.

Im dritten Kapitel ändert sich das schlagartig mit einem Ereignis, das bis heute nachwirkt: Tschernobyl. In der Folge begannen viele Jugendliche, sich für Politik und Umweltschutz zu interessieren. Folgerichtig beschreibt dieses Kapitel, dass die Achtziger bei weitem nicht die Supersorgloszeit waren, als die viele von uns sie heute in Erinnerung haben. Zitat: „Die unrühmlichen Höhepunkte des Jahrzehnts lesen sich wie ein Bericht aus der Endzeit – sie waren das düstere Gegenstück zur Aerobic-Spaß-und-Ententanz-Kultur.“ Genannt werden unter anderem das Waldsterben, Gifte wie PCB, Formaldehyd, Asbest und DDT, die damals noch relativ sorglos verbreitet wurden, Lebensmittelskandale, aber auch Gefahren durch das damals bei Jugendlichen noch sehr viel mehr verbreitete Rauchen, durch Drogen (eindrucksvoll dargestellt in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) und schließlich – gerade zu dem Zeitpunkt, als viele von uns ihre Sexualität entdeckten – durch AIDS. So kommen die Autoren folgerichtig zu dem Schluss: „Wir haben die Achtziger nicht nur erlebt, sondern auch überlebt.“ Anders als viele Hungernde in Afrika, für die Bob Geldof damals das Super-Konzert „Live Aid“ veranstaltete und damit einen Meilenstein der Musikgeschichte schuf. Immerhin war es ein Jahrzehnt mit Happy End dank deutscher Wiedervereinigung, Ende des Kalten Krieges, Entspannung in manch anderer Krisenregion und auch mit dem Ergreifen erster Maßnahmen zum Schutze unserer Umwelt.

Das letzte Kapitel schließlich widmet sich dem technischen Fortschritt, den wohl keine andere Generation so rasant und hautnah miterlebt hat. Von der Hörspielkassette zur Stereoanlage, der Videorekorder eröffnete Filmfans ganz neue Möglichkeiten und die Computerindustrie boomte. Ebenso die Telekommunikation: Hatten die meisten am Anfang der Achtziger noch ein Schnurtelefon mit Wählscheibe zuhause, so war es wenige Jahre später schon ein Gerät mit Anrufbeantworter, die ersten Mobiltelefone kamen auf den Markt, Telefax ersetzte Telex. Dies alles trug den Autoren zufolge dazu bei, dass Kassettenkinder mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft blickten.

Nach einem kleinen Durchhänger gegen Ende des zweiten Kapitels, als ich genug hatte von diesem Ritt auf der Nostalgiewelle, hat mich das Buch dann im weiteren Verlauf wieder umso mehr gefesselt. Mit vielem, was beschrieben wurde, konnte ich mich 1:1 identifizieren und ich bin sicher, dass es vielen aus meiner Generation ebenso geht.

Empfehlen würde ich das Buch daher allen, die gerne mal nostalgisch auf dieses Jahrzehnt zurückblicken, aber durchaus auch meinen Kindern, um ihnen zu zeigen: „So war das damals“.

Einen winzigen – nicht ganz ernst gemeinten – Punktabzug gibt es für die Tatsache, dass meine Lieblingsband Duran Duran, immerhin eine DER Ikonen der Achtziger schlechthin, im ganzen Buch nur ein einziges Mal erwähnt wird 😉