„Der Blinde von Sevilla“ | |
von Robert Wilson | |
Bewertung
★★★☆☆
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Verlag | Goldmann |
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Buchform | Taschenbuch, eBook |
Erschienen | 2004 / 2013 |
Seiten | 639 Seiten als Taschenbuch |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
In Vorbereitung auf eine Andalusien-Reise war ich auf der Suche nach Büchern, die dort spielen. Historische Romane gibt es ja so einige, dies aber ist ein zeitgenössischer Krimi und allein deshalb hat das Buch schon meine Aufmerksamkeit erregt. Es handelt sich hier um einen Krimi von 2004 (deutsche Ausgabe), der 2013 neu aufgelegt wurde und den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Geschichten um den Chefinspektor Javier Falcón aus Sevilla bildet.
In diesem Buch bekommt es Falcón mit einem besonders grausamen Mord zu tun: Der Restaurantbesitzer Raúl Jiménez wurde gefesselt, geknebelt und gezwungen, sich ein Video anzuschauen – dafür wurden ihm sogar die Augenlider abgeschnitten, damit er die Augen vor dem Geschehen auf der Mattscheibe nicht verschließen kann. Was dort gezeigt wurde, muss so grausam gewesen sein, dass Jiménez sich heftig gewehrt hat und schließlich an seinen eigenen Verletzungen, die er sich in seiner Abwehr zugefügt hat, gestorben ist.
Falcón ist eigentlich ein abgebrühter Kriminalist, doch dieser Fall setzt ihm auf merkwürdige Weise zu – erst recht, als er feststellt, dass das Mordopfer und sein eigener Vater, der berühmte, mittlerweile verstorbene Maler Francisco Falcón, sich kannten: In den 1940er und 50er Jahren lebten beide in Tanger / Marokko in der damaligen internationalen Zone.
Eine ganze Weile tappen Falcón und seine Mitarbeiter im Dunkeln. Einzige Verdächtige bleibt die Witwe des Restaurantbesitzers, doch ein Gefühl sagt Falcón, dass sie unschuldig ist. Dann geschieht ein zweiter Mord: Die Prostituierte, mit der Jiménez kurz vor der Tat zusammen war, wird tot aufgefunden – ausgerechnet auf dem Friedhof neben dem Sarg des Toten. Und es gibt noch ein drittes Mordopfer, das auf dieselbe grausame Weise gefoltert wurde wie Raúl Jiménez.
Falcón leidet inzwischen an Schlafstörungen und anderen gesundheitlichen Problemen, so sehr setzt ihm der Fall zu. Dass er ganz allein in dem großen Haus seines Vaters lebt, macht es nicht besser und schließlich wird er sogar von dem Fall abgezogen und vom Dienst freigestellt. Eines Tages findet er die Tagebücher seines Vaters und lernt ihn dadurch von einer ganz anderen, grausamen Seite kennen: Francisco hat in den 1930er Jahren im spanischen Bürgerkrieg gekämpft. Von da war es nur ein Schritt, um als Söldner an der Seite der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg in den Russlandfeldzug zu ziehen. Emotionslos schildert Francisco die zahlreichen Greueltaten, die ihm widerfahren sind und die er selbst begangen hat.
Dann berichtet Francisco davon, wie er Raúl Jiménez kennenlernte. Gemeinsam betätigten sie sich als Schmuggler, mit Betrug und Mord gelangten sie zu Wohlstand und lebten in Tanger ein vergleichsweise sorgloses Leben, gründeten Familien. Doch der Schein trügt. Nach und nach taucht Javier Falcón immer tiefer ein in die Geschichte seines Vaters. Zwar kommt er damit der Lösung des Mordfalls immer näher, doch gerät dabei auch selbst in immer größere Gefahr.
Es hat eine Weile gedauert, bis der Kriminalfall mich so gepackt hat, dass ich eine gewisse Spannung spürte. Zuvor musste ich mich erst mal an den Erzählstil gewöhnen, der für meinen Geschmack etwas zu langatmig und ausschweifend ist. Bei über 600 Seiten hätte man meiner Meinung nach da noch etwas straffen können und vielleicht auch den einen oder anderen Erzählstrang weglassen, der die Geschichte überfrachtet. Je weiter ich in dem Buch vorankam, umso spannender wurde es dann aber und ich tappte bis zuletzt im Dunkeln, wer denn nun der Täter sein könnte.
Sehr schön fand ich es, nebenbei einiges über Sevilla und über die Geschichte Spaniens zu erfahren, angefangen vom Bürgerkrieg in den 1930ern bis hin zum Beginn des neuen Jahrtausends – das Buch spielt im letzten Jahr vor der Einführung des Euro. Sehr interessant waren auch die Schilderungen der „Semana Santa“, der Karwoche, die in Sevilla ganz groß gefeiert wird. Davon hatte ich auch schon in etlichen Reiseführern gelesen, hier aber wird das Geschehen aus einem ganz anderen Blickwinkel geschildert. Auch das durchaus umstrittene Thema Stierkampf wird aufgegriffen, allerdings gespickt mit jeder Menge Fachbegriffe, für die ich mir ein Glossar am Buchende gewünscht hätte.
Alles in allem eine Lektüre, auf die man sich einlassen und für die man ein wenig Geduld aufbringen muss, aber eine gute Einstimmung auf einen Besuch der Stadt Sevilla.