Jedes Jahr aufs Neue berichte ich über die Abiturzeugnisverleihung am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten, beispielsweise in den Jahren 2016 und 2017. Und ich lasse mich jedes Mal wieder anstecken von der ganz besonderen Stimmung, die bei so einem Ereignis herrscht: Eine Mischung aus Jubel und Wehmut, Aufbruchstimmung und ein wenig Nostalgie.
Dieses Jahr habe ich diese Emotionen noch intensiver erlebt, denn unter den Absolventen war auch mein eigener, jüngerer Sohn. Nachdem unser Ältester bereits 2014 das Abi erfolgreich bestanden hat, hieß es nun also endgültig Abschied nehmen von dem Lebensabschnitt Schulzeit – einer Zeit, die ich insbesondere bei unserem Jüngeren als sehr angenehm und entspannt erleben durfte. Ein klitzekleines bisschen nahm ich nun auch Abschied von meiner eigenen Schulzeit, die ich am selben Gymnasium verbracht habe, mein eigenes Abi jährte sich heuer zum 30. Mal (was wir mit einem tollen Abitreffen gefeiert haben).
Nun also begann die Abiturzeit für meinen Sohn und nach den überstandenen Prüfungen, nach Diskussionen und Schmunzeln über die Online-Petition über das angeblich zu schwere Mathe-Abi war es endlich soweit, der Tag der Notenbekanntgabe stand an. Da die Bekanntgabe für 13 Uhr anberaumt worden war, gab es den traditionellen Autokorso schon davor, schließlich sollten die jüngeren Schüler ja auch etwas davon haben. Für den Autokorso habe ich meinem Sohn mein Auto geliehen, er und mein Mann haben es eigenhändig verziert und mit dem Schriftzug „Abi 19“ versehen – erstaunlicherweise blieb mein Auto das Einzige im Korso mit diesem Schriftzug. Dafür war aber ein Traktor dabei und sogar die Polizei reihte sich in den Korso ein, bei dem, so weit ich weiß, zum Glück nichts passiert ist.
Danach wurden endlich die Noten bekannt gegeben und so nach und nach kamen die Absolventen mit ihren Notenausdrucken wieder aus der Schule heraus, die meisten mit freudigen Gesichtern. Immerhin haben 183 Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs bestanden, davon ganze 65 mit einer Eins vor dem Komma! Und das berüchtigte Mathe-Abi ist bei uns in Vaterstetten besser ausgefallen als im bayernweiten Durchschnitt. Auch bei uns zuhause gab es Grund zum Feiern.
Bedingt durch die dazwischenliegenden Pfingstferien, dauerte es dann noch ganze drei Wochen bis zur feierlichen Abizeugnisverleihung. Dafür war die Turnhalle festlich geschmückt worden – der einzige Raum in der Schule, in den alle Absolventen nebst Familien hineinpassen.
Die Bühne bot diesmal eine Besonderheit, nämlich eine Rampe für eine Rollstuhlfahrerin unter den Absolventen. Ich kenne Johanna bereits seit ihrer Grundschulzeit. Schon damals sagte ihre Lehrerin zu den Eltern: „Johanna ist eine Schülerin fürs Gymnasium. Nehmen Sie Kontakt mit der Schule und dem Träger auf, damit die Schule für Johanna barrierefrei wird.“
Leider ist das Schulhaus, Baujahr 1970, nämlich alles andere als behindertengerecht: Es ist in Splitt-Level-Bauweise errichtet, man muss zwangsläufig Treppen steigen. Für Johanna wurde der Stundenplan so gestaltet, dass sie nur in für sie gut erreichbaren Räumen Unterricht hatte. Dennoch: Der Weg zum Sekretariat und ins Atrium, wo viele Veranstaltungen stattfinden, blieb ihr verwehrt. Das änderte sich erst, als sie bereits in der achten Klasse war, da wurde ein neuer Aufzug eingebaut.
Ein Problem aber blieb: Die Bühne. Und die hätte Johanna im Laufe ihrer Schulzeit oft betreten dürfen, denn bei den jährlichen Ehrungen der schuleigenen Stiftung Eliteförderung war sie immer unter den Preisträgern. Ihre Urkunde bekam sie aber stets neben der Bühne überreicht, beispielsweise im Jahr 2017 und im Jahr 2018.
Für den krönenden Abschluss – Johanna wurde mit einem Abischnitt von 0,8 Jahrgangsbeste! – wollten ihre Freunde das aber nicht hinnehmen. Schon vor einem Jahr schrieben sie eine Mail an den Schulleiter und den Landrat (der Landkreis ist Träger der Schule) und baten darum, sich etwas einfallen zu lassen. Vom Landrat kam zwar postwendend eine Antwort, jedoch keine konkrete Lösung. Und an der Schule scheute man wohl den Aufwand.
Zum Glück sind einige von Johannas Freunden im schuleigenen AK Technik und auch darüber hinaus in Sachen Bühnentechnik gut vernetzt. So konnte eine Mitschülerin in Eigeninitiative schlussendlich die Rampe zur Bühne organisieren.
Für mich, die ich durch meinen Sohn die ganze Geschichte von Anfang an mitbekommen hatte, war es daher der mit Abstand bewegendste Moment der Zeugnisverleihung, als Johanna oben auf der Bühne nicht nur ihr Abitur, sondern auch zahlreiche weitere Ehrungen für ihre Leistungen in den verschiedenen Fächern entgegennehmen konnte.
Diesen für mich so bewegenden Moment habe ich auch in meinen Zeitungsberichten thematisiert:
Und so stand am Abend auch einem fröhlichen Abiball nichts mehr im Wege. Aufgrund der Größe des Jahrgangs (plus Familien) fand dieser am Münchner Nockherberg statt, in eben jenem Saal, den man aus dem Fernsehen vom Starkbieranstich und dem Politiker-Derblecken kennt.